Flammenzungen
fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Sie standen im recht düsteren Flur, Nabil war für ihren Geschmack viel zu dicht bei ihr. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, nur seinen Atem hören.
Ihr fiel ein, dass dieses Haus einen Keller besaß, was in New Orleans selten war, da die Stadt unterhalb des Meeresspiegels lag und auf Sumpfgebiet gebaut worden war.
Plötzlich bekam Amy Angst.
25. KAPITEL
August dieses Jahres New Orleans,
Nahils Haus
„Entschuldige, dass ich kein Licht anschalte, aber ich muss sparen. So ein großes Haus ist teuer.“ Nabil legte ihr die Hand auf den Rücken und übte sanften Druck aus, um ihr zu bedeuten, dass sie vorausgehen sollte.
Amy war gar nicht wohl dabei. Normalerweise machten ihr seine Berührungen nichts aus, aber an diesem Tag ging sie absichtlich einen Schritt schneller, um den Kontakt zu lösen. Der Gang führte an der Küche vorbei. Eine milchig weiße Schüssel mit einer Flüssigkeit stand auf dem Tisch. Daneben lag ein gelbes Tuch. Abrupt blieb sie stehen, um in den helleren Raum einzutreten, doch Nabil schob sie energisch weiter.
„Ins Wohnzimmer, bitte.“ Er griff ihren Oberarm und führte sie. Klang er kurzatmig, oder bildete sie sich das nur ein? „Das ist der einzige kühle Raum. Dort steht eine portable Klimaanlage. Du weißt ja, dass meine Eltern nie Aircondition im Haus installiert haben. Sie waren die Hitze aus Pakistan gewöhnt, behaupteten sie jedenfalls. Ich glaube eher, dass sie das Geld Zusammenhalten mussten. Die Wärme in unserem Heimatland ist nämlich trocken und viel besser auszuhalten als die Schwüle in Louisiana.“
Warum war er so aufgeregt ? Schämte er sich, oder verbarg er etwas vor ihr? Sie besuchte ihn selten, weil sie sich meistens in Downtown New Orleans trafen oder er zu ihr kam. Bisher war ihr das recht gewesen, zumal Nabil meinte, ein Gentleman würde immer der Lady einen Besuch abstatten und nicht umgekehrt. Doch nun fragte sie sich, ob das Absicht gewesen sein mochte. Verbarg er etwas? Zum Beispiel in seinem Kellergeschoss ?
Im Wohnbereich wurde Amy von Kälte willkommen geheißen. Im ersten Moment fror sie, aber schon nach einer Minute wusste sie das kleine Kühlgerät zu schätzen, das wohl die Dollarscheine auffraß, die Nabil einsparte, indem er so wenige Lampen wie möglich anknipste. So hell, wie das Gebäude durch den zitronengelben Anstrich von außen wirkte, so dunkel war es im Innern. Zum einen lag das an den kleinen Fenstern, zum anderen an den schweren Vorhängen, die noch von Nabils Mutter stammten. Er hatte nichts neu gekauft, nichts abgehängt und auf dem Dachboden verstaut. Das gesamte Mobiliar seiner Eltern stand noch so da wie zum Zeitpunkt ihres tragischen Todes. Wie ein Schrein, in dem er lebte, zur Erinnerung an sie. Er war nicht gut darin, loszulassen. Eine treue Seele. Aber manchmal fragte sie sich, ob dieses Festhalten nicht manische Züge annahm. War das ein Wunder? Erst hatte er seine Mutter und seinen Vater verloren, dann Marnie, seine große Liebe.
Nun fiel ihr wieder ein, was er einmal zu ihrem Cousin und ihr gesagt hatte, nachdem seine Tränen getrocknet und seine Trauer von Enttäuschung und Wut abgelöst worden waren: „Marnie hat mich verlassen, Skyler hat recht. Ich schwöre euch, das wird nie wieder passieren. Ich werde niemals wieder den Kürzeren ziehen!“ Wie hatte er das gemeint? War Kimora zum Ziel seiner Begierde geworden? Hatte sie ihn zurückgewiesen, worauf er sie entführte, um sie zu besitzen?
Amy nahm auf dem Sofa mit dem altmodischen Überwurf Platz und rieb sich über die Stirn, als könnte sie mit dieser Geste die anstrengenden und verstörenden Gedanken wegwischen. Sie wollte nicht, dass Nabil etwas mit Kimoras Verschwinden zu tun hatte. Alles sollte wieder so werden wie früher, bevor Lorcan in ihr Leben getreten war. Friedlich.
Aber dann wurde sie sich bewusst, dass sie sich selbst belog. Schon vor Lorcans Erscheinen waren schreckliche Dinge geschehen. Im Sommer des vergangenen Jahres hatte sich Marnie in Luft aufgelöst, und im November war sie selbst beinahe vergewaltigt worden. Von friedlich konnte keine Rede sein. Lorcan war nicht der Auslöser allen Übels. Außerdem liebte sie ihn. Allerdings hatte auch Nabil einen Platz in ihrem Herzen.
Sie tauchte aus ihren Gedanken auf und bemerkte, dass Nabil sich neben sie gesetzt hatte, den Oberkörper kerzengerade aufgerichtet und seine dünnen Beine eng nebeneinandergestellt. Es wäre ihr lieber gewesen, er
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