Flammenzungen
dann war die Leitung tot.“ Einen Moment war er in sich gekehrt, dann schaute er Amy an und ballte die Hände zu Fäusten. „Kannst du jetzt verstehen, warum ich sie nicht aufgeben darf? Es hat mich innerlich zerrissen, dass ich ihr damals nicht helfen konnte. Ich darf sie nicht im Stich lassen. Niemand glaubt mir. Die Polizei geht davon aus, dass ich den Anruf fingiert habe, um eine falsche Fährte zu legen und von mir abzulenken. Gavin redet nur über seine Anwälte mit mir. Er scheint sich damit abgefunden zu haben, dass Kimora nie wieder zu ihm zurückkehren wird.“
„Vielleicht hat er die Suche nach seiner Ehefrau aufgegeben, weil er sie in seiner Gewalt hat.“ Sie zuckte die Achseln.
„Das Buckley-Anwesen gleicht inzwischen einer Festung.“ Er grollte und lehnte sich mit dem Rücken an den Kühlschrank. „Selbst am Ufer wurde ein Zaun mit Kameras errichtet. Tag und Nacht patrouilliert dort ein Wachmann.“
Offenbar hatte er die Gegebenheiten längst ausgekundschaftet. Gänzlich überzeugt von Gavins Unschuld war er also doch nicht. Jetzt wusste sie, womit er seine Zeit verbrachte, während sie arbeitete. Er stellte Nachforschungen an.
„Um ungebetene Gäste fernzuhalten oder einen Fluchtversuch unmöglich zu machen?“, äußerte sie laut ihre Gedanken.
„Der Gedanke kam mir auch schon. Ich muss in das Gebäude rein, egal wie.“ Schwungvoll drehte er sich herum und boxte gegen die Schranktür.
„Ich möchte dir helfen.“ War sie verrückt? Wollte sie wirklich, dass Kimora in sein Leben zurückkehrte? Nein. Sie fürchtete sich viel zu sehr davor, ihn am Ende doch an sie zu verlieren. Aber unter keinen Umständen mit dem Wissen leben, dass eine Frau von einem Psychopathen festgehalten wurde! Amy war nicht überzeugt von Lorcans Theorie. Wenn jedoch allein die Möglichkeit bestand, dass Kimora sich in der Hand eines Kidnappte befand, musste sie helfen, sie zu befreien. Etwas anderes würde sie sich niemals verzeihen können, und das nicht nur, weil sie selbst schon einmal angegriffen worden war.
„Nein.“ Er fasste ihre Schultern und hielt sie fest. „Ich werde dich nicht in Gefahr bringen.“
„So weit muss es ja nicht kommen.“
„Ich sagte Nein!“, stellte er ausdrücklich klar. Beinahe verzweifelt küsste er sie. „Es ist schon riskant genug, dass ich bei dir wohne. Das könnte den Entführer auf dich aufmerksam machen. Versprich mir, dass du dich da raushältst. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren.“
Zuerst wollte sie protestieren, doch das hätte nur zu weiteren Diskussionen geführt, daher griff sie zu einer List.
„Ich werde mich von dem Anwesen fernhalten. Zufrieden?“ Mehr versprach sie nicht. Absichtlich.
Fest nahm er sie in die Arme und küsste ihr Haar. „Ich kriege jetzt nichts runter. Iss du in Ruhe. Ich habe einige Dinge zu erledigen.“
Das hatte sie auch. Sie mochte ihm versprochen haben, das Buckley-Grundstück nicht zu betreten, aber neben Gavin gab es ja noch eine weitere Spur. Nabil. Er stellte die einzige Verbindung zwischen ihr und Lorcans altem Leben dar. Das musste einfach etwas zu bedeuten haben.
Damit Lorcan nichts merkte, machte sie am Nachmittag eine Stunde früher als üblich Feierabend und fuhr von der Stadtverwaltung direkt zu dem zitronengelben Haus mitten in New Orleans. Weil es an zwei Hauptstraßen lag und Nabils blauer Ford die Garageneinfahrt besetzte, musste sie eine Zeit lang herumfahren, bis sie schließlich drei Blocks entfernt einen Parkplatz am Straßenrand fand. Dank der siebenunddreißig Grad und der hohen Luftfeuchtigkeit an diesem Tag kam sie verschwitzt bei Nabil an. Die Jalousien in den meisten Räumen waren heruntergelassen. Vielleicht zog Nabil sie inzwischen gar nicht mehr hoch, denn er bewohnte nur Küche, Bad, Wohnzimmer und einen der Schlafräume im Obergeschoss. Der Rest stand leer.
„Schön, dass du dich an einen alten Freund erinnerst“, begrüßte er sie verschnupft, nachdem er die Haustür geöffnet hatte.
Freund, dieses Wort hallte in ihr wider. Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Eigentlich suchte sie ihn auf, um herauszufinden, ob er etwas mit Kimoras Verschwinden zu tun hatte. Sie befand sich in einer Zwickmühle. Gerade war sie im Begriff, ihren besten Kumpel als möglichen Täter in Betracht zu ziehen, und das für einen Mann, der selbst inhaftiert gewesen war. Sollte sie Nabil nicht vielmehr verteidigen?
Amy trat ein und lächelte ihn entschuldigend und hoffentlich einnehmend an. Dann
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