Flandry 5: Krieger aus dem Nirgendwo
darauf gelegt. »Ruhe wohl«, sagte Kemul kaum hörbar und ging hinaus.
Unten im Freudenhaus lachte jemand wie ein heiserer Vogel; aber der Regen war noch lauter und füllte die Nacht mit dunklem Rauschen. Luang lächelte Flandry nicht an. Ihr Mund zeigte eine Bitterkeit, die er nicht ganz verstand, und sie schaltete das Licht aus, als sei es ein Feind.
VIII
Zweitausend Kilometer nördlich von Kompong Timur reckte sich ein Gebirgszug gen Himmel. Ihn dominierte der Gunung Utara, der zugleich eine Stadt war.
Am Morgen nach seiner Ankunft trat Flandry auf den Sims vor seiner Herberge. Hinter ihm führte ein Stollen in schwarzen Basalt, wand und schlang und verzweigte sich, denn es war eine alte Fumarole. Längs dieses Korridors waren Zimmer aus dem Stein geschlagen worden. Man hatte Luftgebläse und Leuchtstoffröhren installiert und den nackten Fels mit Kunststoffüberzügen und Wandteppichen verschönert. Der Großteil der Stadt war in solche natürlichen Gänge gebaut, die man mit künstlichen Kavernen ergänzt hatte – die Hänge des Gunung Utaras rauf und runter.
Flandry konnte gerade die Felswand hinter sich sehen, und über die Kante des Simses unter seinen Füßen hinweg etwa zehn Meter weit nach unten. Davon abgesehen bestand seine Welt aus dichtem weißem Nebel, der alle Geräusche verzerrte; Maschinenlärm und Stimmen klangen, als kämen sie von weit weg und aus unmöglichen Richtungen. Die Luft war dünn und kühl; sein Atem bildete Dampfwölkchen. Flandry schauderte und zog sich den Kapuzenumhang enger um die Schultern, den die Einheimischen zusätzlich zu Kilt, Socken und Hemd trugen. Sie lebten immerhin zweitausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel.
Unter seinen Füßen grollte es, tiefer als jede Maschine, und der Boden bebte leicht. Gunung Utara träumte.
Flandry zündete sich eine der scheußlichen einheimischen Zigaretten an. Luang hatte seinen gesamten terranischen Vorrat verkauft. Bald würde er frühstücken gehen. Das Essen im Tiefland hatte hauptsächlich aus Reis und Fisch bestanden, aber Luang sagte, in den Bergen sei Fleisch billiger. Eier mit Speck? Man sollte seine Hoffnungen nicht zu hoch stecken. Flandry seufzte.
Die Hinreise allerdings war angenehm gewesen – ausgesprochen angenehm sogar und das mit schöner Regelmäßigkeit. Luang hatte ihn nicht nur fortgeschickt, damit er sich versteckte, sondern begleitete ihn selbst, mit Kemul als unvermeidlichem Zaungast. Bei Nacht hatte sie jemand über den See gefahren, der den Mund halten würde. Am Depot auf der anderen Seite hatte Luang eine Privatkabine auf einem der Motorflöße gemietet, die den Ukong hinauffuhren. Flandry hatte sie nie verlassen, und sie war die meiste Zeit bei ihm geblieben, während das Floß sie langsam nordöstlich nach Muarabeliti gebracht hatte. (Kemul schlief vor der Tür und sagte wenig, wenn er wach war; seine Zeit verbrachte er meist mit einer Marihuanapfeife.) In der Stadt hätten sie ein Linienflugzeug genommen, doch da solche Maschinen nur etwas für die Reichen waren, erschien es ihnen sicher, mit der Einschienenbahn zu fahren. Nicht dass sie sich in einen Wagen dritter Klasse drängten wie gewöhnliche Bauern; sie nahmen ein Abteil, eine angemessene Unterbringung für Kleinbürger. Während sie einen Kontinent voll Dschungel, Plantagen und überflutetem Tiefland durchquerten, hatte Flandry dem Panorama weniger Aufmerksamkeit geschenkt, als ein Tourist pflichtschuldigst sollte. Und jetzt waren sie in Gunung Utara untergebracht, bis sich die Gemüter abkühlten und die Bioaufsicht mit Sicherheit annehmen konnte, dass Flandry tot war.
Und dann?
Flandry hörte ein leises Klappern von Schuhen auf Stein und drehte sich um. Luang kam aus dem Tunnel. Sie machte dem Klima durch eine flammendrote Jacke und eine purpurne Trikothose Zugeständnisse, aber selbst vor dem Frühstück wirkte sie dennoch bemerkenswert auf ihn. »Du hättest mich rufen sollen, Dominic«, sagte sie. »Ich habe an Kemuls Tür gehämmert, aber er schnarcht noch.« Sie gähnte, wölbte den Rücken und hob die kleinen Fäuste in den Nebel. »Das ist keine Stadt für lange Schläfchen. Die Männer arbeiten hier schwer, und das Geld fließt schnell. Sie ist gewachsen, seit ich das letzte Mal hier war, und das ist erst wenige Jahre her. Wenn ich mich hier erst gut eingerichtet habe, kann ich hoffen, einiges zu verdienen …«
»O nein, das lässt du bleiben!« Ein wenig zu seiner eigenen Überraschung entdeckte Flandry,
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