Flandry 5: Krieger aus dem Nirgendwo
Sonnenlicht.«
Es war zwar nicht sonderlich kalt, doch Flandry schauderte.
Sie hatten einen bestimmten Stamm erreicht. Tembesi blieb stehen. »Diesen nennen wir den Baum Wo Die Ketjils Nisten«, sagte er, »die Heimat meiner Sippe. Willkommen, Befreier.«
Flandry blickte hoch. Und höher. Plastiksprossen waren in die alte raue Borke eingesetzt worden. In Abständen boten mit blühenden Rankenpflanzen verzierte Plattformen Gelegenheit zu einer Atempause. Der Aufstieg würde lange dauern. Er seufzte und folgte seinem Führer.
Als er den untersten Ast erreichte, sah er, dass er sich wie eine Straße nach außen streckte und allmählich anstieg. Geländer gab es keine. Flandry schaute hinunter, entdeckte tief unter sich undeutlich den Boden und schluckte. So dicht bei den Blättern hörte er ihr Rascheln deutlich und klar überall ringsum; sie erzeugten ein grünliches Halbdunkel, unruhig durch tausend reflektierte Kerzenflämmchen. Er sah längs des Astes Gebäude, die in den Gabeln kauerten oder auf schwankenden Nebenästen hockten. Lebendige Häuser waren es, gewoben aus parasitären Gräsern, die gewaltigen Schilfpflanzen ähnlich in der Rinde wurzelten. Sie bildeten anmutige Kuppeln und Halbzylinder, und der Wind bewegte flatternde Vorhänge aus gefärbtem Stroh in den Eingängen. Direkt am Baum stand ein langes Gebäude mit einem Spitzdach aus blühenden Grassoden.
»Was ist das?«, fragte Flandry.
Djuanda antwortete mit ehrfürchtigem Flüstern, das in den Stimmen der Blätter beinahe unterging: »Der Schrein. Dort leben die Götter, und ein Stollen ist tief ins Holz geschnitten. Wenn ein Junge heranwächst, verbringt er eine Nacht in dem Stollen. Mehr darf ich nicht sagen.«
»Der Rest sind öffentliche Gebäude, Lagerhäuser, Manufakturen und so weiter«, erklärte Tembesi in dem offensichtlichen Wunsch, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. »Lassen Sie uns weiter hinaufgehen, dorthin, wo Menschen wohnen.«
Je höher sie stiegen, desto lichter und luftiger wurde es. Die Häuser waren kleiner und oft bunt gemustert. Wo sich die Äste gabelten, drängten sie sich in Trauben; einige waren am Stamm befestigt. Die Bewohner liefen barfüßig auch über die dünnen und zitternden äußersten Ende der Äste, als wäre es fester Boden. Nur sehr kleine Kinder wurden eingeschränkt, sei es durch Leinen oder durch Flechtzäune. Äußerlich unterschied dieser Stamm sich nicht von den anderen Menschen Unan Besars. Ihre Bekleidung variierte nur in den Einzelheiten des Batikmusters. Selbst die einfachsten Hausarbeiten, die ihre Frauen ausführten, oder das schlichte Mobiliar, das man durch die vorhanglosen Türen sah, waren vertraut. Die Einzigartigkeit dieser Menschen war subtiler und verblüffender. Sie lag in einer würdevollen Höflichkeit, mit der die Neuankömmlinge durchaus interessiert, aber ohne Starren oder Annäherung betrachtet wurden, in der leisen Sprechweise und der Art, wie einem Nachbarn Platz gemacht wurde, der einen dünnen Ast entlangkam, im Gelächter, das regelmäßiger zu hören war und nicht so schrill klang wie anderswo, im Klang einer Samisen, auf der ein junger Mann von Ranken gekrönt, die Füße über windigem Nichts schwingend, seinem Mädchen vorspielte.
»Ich sehe hier und dort Gemüsebeete«, bemerkte Flandry. »Wo sind die reichen Ernten, von denen du gesprochen hast, Djuanda?«
»Sie werden eine unserer Erntemannschaften einige Äste weiter oben sehen, Kapitän.«
Flandry stöhnte.
Der Anblick war dennoch pittoresk. Von den äußeren Zweigen hingen flechtenartige Bärte, dem Louisianamoos nicht unähnlich. Gruppen von Männern gingen gefährlich nahe an es heran und holten es mit Haken und Netzen ein. Flandry fühlte sich schon beim Hinsehen ein wenig unwohl, aber die Männer wirkten bei ihrer beängstigenden Arbeit durchaus fröhlich. Die Ernte wurde von anderen Männern hinunter zu einer Hütte getragen, in der man ein fiebersenkendes Mittel daraus gewann (auf Unan Besar gab es mehr als nur eine Krankheit!); es brachte der Gemeinschaft den Großteil ihres Geldes ein.
Es gab noch andere Quellen von Nahrung, Fasern und Einkommen. Verschiedenste Sorten von kleineren Bäumen und Sträuchern wuchsen auf dem großen; künstliche Mutation und Zuchtauswahl hatten sie dem Menschen nützlich gemacht. Halbzahme Vögel nisteten so, dass man einen Teil ihres Geleges entnehmen konnte. Außerdem erkrankten Äste manchmal; wurden sie gekürzt oder ganz abgeschnitten, erbrachten die
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