Flandry 6: Schattenwelt
selbstverständlich keine Hypnosonde. Das Gerät legt einen Menschen sofort in Quasischlaf und stimuliert die Gedächtnisaktivität, nachdem ein Medikament Hemmungen und Emotionen gedämpft hat. Im Endeffekt wird für den Vernehmenden alles zugänglich, was der Organismus permanent gespeichert hat – vorausgesetzt, es besteht keine Tiefenkonditionierung dagegen. Der Vorgang erfordert mehr Zeit und größeres Können als ein normales Verhör, wo man nur herausbekommen möchte, was der Proband bewusst weiß, aber nicht mitteilen will. Psychiater benutzen es, um bei schwer gestörten Patienten unterdrückte Schlüsselerfahrungen an die Oberfläche zu holen. Ich habe es hauptsächlich eingesetzt, um vollständige Aussagen zu erhalten, und zwar im Allgemeinen von willigen Zeugen – wichtige Punkte, die sie vielleicht bemerkt, aber vergessen haben. In Ihrem Fall gehen wir am günstigsten in mehreren recht kurzen Sitzungen vor, die drei oder vier Wachen auseinanderliegen. Auf diese Weise können Sie sich besser an Ihre wiederhergestellten Erinnerungen gewöhnen und eine Krise vermeiden. Die Sitzungen sind schmerzlos und werden nicht in Ihrer Erinnerung haftenbleiben.«
Kossara blickte ihn konzentriert an. »Spielen Sie mir die Aufzeichnungen vor, wenn ich aufwache?«, fragte sie.
»Das könnte ich«, erwiderte er, »aber würden Sie es nicht vorziehen, wenn ich sie lösche? Verstehen Sie, sobald unsere Fragen ein zusammenhängendes Gerüst dessen, was vergraben lag, hervorgeholt haben, wird ein einfacher Befehl es in Ihrem normalen Gedächtnis verankern. Durch Assoziation wird es alles Übrige ebenfalls hervorlocken. Sie werden die volle Erinnerung an die Episode zurückbekommen, auf die wir uns in der Sitzung konzentriert haben.«
Seine Augen ruhten ernst auf ihr. »Sie müssen wissen«, fuhr er fort, »dass Ihr ganzes Leben offen vor uns liegt. Wir werden uns sehr bemühen, unsere Fragen so zu stellen, dass wir Ihre Privatsphäre nicht verletzen. Allerdings besteht keine Möglichkeit, sämtliche im Zusammenhang stehenden, emotional stark aufgeladenen Themen zu meiden. Sie werden vieles ausplappern. Außerdem müssen wir uns vortasten. Ist dieses oder jenes ein Informationsfetzen aus Ihrer jüngsten, schlimmen Vergangenheit – oder ist es älter und für unsere Zwecke irrelevant? Oft müssen wir eine Ermittlungsrichtung eine gewisse Distanz verfolgen, ehe wir sicher sein können.
Wir werden Dinge erfahren, von denen Sie wünschen, wir wüssten sie nicht. Sie müssten uns beim Wort nehmen, dass wir hinterher immer Schweigen darüber bewahren – ja, und auch nicht zu richten, damit wir nicht gerichtet werden.
Wünschen Sie das wirklich, Kossara?«
Mit steifem Nacken nickte sie. »Ich will die Wahrheit wissen.«
»Ohne Zweifel können Sie genügend erfahren, indem Sie mit dem Gospodar reden, nachdem wir Dennitza erreicht haben – vorausgesetzt, er lebt und hat Zeit für Sie. Und ich halte nicht damit hinterm Berg: Ich hege die Hoffnung, Einblicke in den Modus operandi des merseianischen Geheimdienstes zu erhalten, einige klare Identifikationen seiner Agenten unter uns – für das Imperium.
Ich werde Sie nicht drängen«, beendete Flandry seine Ansprache. »Bitte überlegen Sie es sich gut, ehe Sie sich entscheiden.«
Sie straffte die Schultern. »Ich habe nachgedacht.« Sie streckte die Hand vor: »Geben Sie mir die Medizin.«
Am ersten Abend schleppte Kossara sich in den Salon. Flandry sah sie zerzaust, düster gekleidet und mit Tränenspuren im Gesicht vor den Sternen. Sie war lange hinter verschlossener Tür in der eigenen Kabine geblieben.
»Sie müssen nicht hier essen, wissen Sie«, sagte er in seinem sanftesten Ton.
»Danke sehr, aber das werde ich«, erwiderte sie.
»Ich bewundere Ihren Mut stärker, als ich sagen kann, meine Liebe. Kommen Sie, setzen Sie sich und nehmen Sie einen Drink vor dem Essen, oder auch drei.« Da er fürchtete, sie könnte sich weigern, damit es nicht aussah, als laufe sie vor dem davon, was in ihr war, fügte er hinzu: »Trohdwyr würde es doch zu schätzen wissen, wenn wir auf seine Mannen trinken, oder?«
Sie befolgte seinen Vorschlag wie betäubt. »Wird die ganze Behandlung so schlimm?«, fragte sie.
»Nein.« Er trat zu ihr und schenkte ihnen beiden merseianischen Telloch ein, obwohl er eigentlich lieber einen marstrockenen Martini genommen hätte. »Ich hatte befürchtet, dass beim ersten Mal die Dinge laufen würden, wie sie liefen, aber ich sah keine
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