Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Zu viele Köche verdarben den Brei.
Anna hingegen saß im Wohnzimmer vor ihrem nutzlosen Handy und blickte abwesend aus dem Fenster. Ihr war nicht bewusst, dass sie auf das Blatt vor sich sinnlose Kreise kritzelte. Ein Kreis über dem anderen. So wie sich all ihre Gedanken im Kreis drehten und sie einfach keinen Schritt weiterkam.
Wenn sie einer ihrer Kollegen jetzt so sähe, er würde sie nicht wiedererkennen. Die dynamische Powerfrau? Wie weggeblasen. Wie zu ihrer schlimmsten Londoner Zeit hatte sie sich gestern aufgeführt.
In London war das nichts Besonderes, ganz im Gegenteil, da gehörte das zum guten Ton. Business is business, but the night is the night. Geschäfte, Alkohol, Sex und Koks. Ihr war sehr schnell klargeworden: Das Zeug war genau ihr Ding. Sie fühlte sich dann noch unbesiegbarer, härter und hatte einen noch klareren Blick auf die Dinge. Bis zum jeweils nächsten Morgen.
Anna schloss die Augen. Wie sollte sie Carlo das jemals erklären? Von dieser Londoner Anna hatte er nicht die geringste Ahnung gehabt. Bis gestern.
Oben in Saalfelds Zimmer fragte Elli, was es wohl sein könnte, das Saalfeld so plötzlich niedergestreckt hatte? Sandra hatte keine Antwort.
»Vielleicht ein Virus? Oder etwas Schlimmeres? Eine verschleppte Lungenentzündung?«
»Ich kann es nicht sagen. Ich bin kein Arzt. Aber ich denke nicht, dass es nur ein Virus ist. Er hat kein Fieber oder Schüttelfrost. Er schwitzt zwar und kämpft mit dem Luftholen, aber nein, das kommt irgendwie von tiefer drinnen.«
Elli hatte immer mehr Achtung vor dieser zarten jungen Frau, die im Moment so viel mehr Kraft hatte als sie selbst. In ein paar Jahren würde Sandra eine beeindruckende Frau sein. Es war gut, dass sie sich von Heiko abnabelte, dachte Elli, denn er würde ihr bald nicht mehr gewachsen sein. Wenn das nicht schon jetzt der Fall war.
Noch immer hatte Saalfeld die Augen geschlossen. Sein Kopf lag starr da, wie bei einem Toten. Das schlechte Licht im Zimmer zeichnete einen bedrohlichen Schattenstrich über sein eingefallenes Gesicht. Während die linke Hälfte beinahe im Dunkeln verschwand, wurde die andere Seite in einen grellen, kranken Schein getaucht. Es machte Elli Angst, den Mann, der eben noch so forsch aufgetreten war, nun so hilflos vor sich liegen zu sehen. Sie fühlte sich grausam an ihren Vater erinnert, der wochenlang in seinem Krankenbett vor sich hin vegetiert war, bevor er endlich erlöst worden war. Sie, Carlo, ihre Mutter und die besten Ärzte, alle waren hilflos gewesen. Völlig machtlos dem gegenüber, was sich so gnadenlos ankündigte. Ihr Vater war keinen schönen Tod gestorben. Wenn es das überhaupt gab, einen schönen Tod. Elli! Hör auf! Sie war über sich selbst entsetzt. Wie konnte sie nur neben diesem armen Mann über den Tod nachdenken? Wie konnte sie an seinem Bett stehen, seine Hand halten und geistig schon sein Schicksal besiegeln?
Carlo hielt ihr ein Glas Wasser hin. Derweil inspizierte Lutz Saalfelds Sakko, das sie dem Mann zuvor ausgezogen hatten. Mit einem »Aha!« zauberte er eine kleine Pillendose hervor. Offensichtlich war sie schon mehrfach verwendet worden, denn die Beschriftung war abgewetzt, so dass er nicht lesen konnte, was für Pillen es waren. Noch weniger ließ sich sagen, welchen Zweck sie hatten. Lutz hoffte, dass Saalfeld schnell wieder zu sich kommen würde.
Just in diesem Moment hustete Saalfeld erneut und schlug die Augen auf. Er schien sofort zu wissen, was geschehen war, denn sein Blick verriet weniger fragende Orientierungslosigkeit als vielmehr Ärger und Scham. Anscheinend war Saalfelds plötzliche Bewusstlosigkeit keine Premiere.
»Herr Saalfeld!«, sagte Sandra.
»Bitte gehen Sie! Lassen Sie mich alleine!«
Lutz hielt die Pillen hoch. »Brauchen Sie vielleicht ein paar hiervon?«
Schon reichte Elli ihm ein Glas Wasser. »Wir wollten einen Arzt rufen, aber das Netz ist zusammengebrochen.« Wie zur Bestätigung donnerte es wieder gewaltig.
»Ich brauche keinen Arzt! Und jetzt, bitte! Meine Ruhe, allein das ist es, was ich brauche.«
Es war unglaublich, wie unfreundlich Saalfeld war und sie noch dazu in diesem Zustand einfach wegschickte, dachte sich Elli.
»Spätestens in einer halben Stunde komme ich und sehe, wie es Ihnen geht, ob Sie wollen oder nicht.« Sandra ließ sich nicht abwimmeln.
Ganz die resolute Krankenschwester, schmunzelte Elli.
»Danke, aber das brauchen Sie nicht. Machen Sie sich lieber für die Abreise fertig. Damit helfen Sie mir weit
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