Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
sicherlich eine Tortur, dachte sich Sandra. »Wie fühlen Sie sich?«
Das Tablett fand auf dem feinen, leicht beschädigten, alten Beistelltischchen neben dem Bett Platz. Saalfeld schwieg weiter. Sandra kannte dieses Verhalten. Nicht jeder Patient war froh, wenn man ihm half. Es gehörte einiges dazu, sich die eigene Schwäche einzugestehen. Jemand wie Saalfeld, der wahrscheinlich sein Leben lang stark gewesen war und sich auch nie einen klitzekleinen Moment der Unzulänglichkeit gegönnt hatte, geschweige denn jemals auf andere angewiesen war, für so jemanden war dies immer eine neue, oft entwürdigende Erfahrung, manchmal sogar schlimmer als die eigentliche Krankheit.
Sie goss ihm eine Tasse Tee ein. »Zucker?«
»Sind Ihre Freunde mittlerweile abgereist? Ich hoffe, ja!« Er tat so, als stünde er immer noch in seinem altmodischen Aufzug und seinem herrischen Ton vor ihnen im Esszimmer. Doch seine Stimme war jetzt leer, nur ein dünner Hauch von dem, was am Vormittag so Eindruck gemacht hatte.
»Auch wenn Sie das ungern hören. Selbst, wenn wir wollten, wir können gar nicht abreisen. Das Unwetter. Wir sind von der Außenwelt abgeschnitten.«
»Was soll das heißen?« Sein Ärger gab ihm neue Kraft.
»Wir werden wohl noch eine Nacht hier zusammen verbringen. Darf ich fragen, was das für Tabletten sind?«
»Nein, das dürfen Sie nicht.«
»Es wäre nur gut zu wissen. Falls Sie noch einmal … tja, falls Sie uns noch mal umkippen, wissen Sie?«
»Was reden Sie da? Ich komme sehr gut allein zurecht. Ich brauche Ihre unprofessionelle Hilfe nicht.« Er zögerte und änderte dann seinen Ton. »Vielen Dank, wirklich! Meine Müdigkeit, das Wetter. Ich hätte wohl unterwegs etwas essen sollen.«
»Mein lieber Herr Saalfeld, Sie müssen, Sie dürfen mir hier nichts vorspielen. Ich bin Krankenschwester. Und ich sehe, wann jemand zu wenig gegessen hat und wann jemand ein ernstes Leiden hat. Also bitte, helfen Sie uns beiden. Ich möchte nicht in die Lage kommen, dass ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Nicht bei diesem Wetter, nicht in meinem Urlaub. Tun Sie uns beide den Gefallen, ja? Bitte!«
Zum ersten Mal sah sich Saalfeld die junge Frau genauer an. Scheinbar wusste sie, was sie sagte und was sie tat. Und hartnäckig war sie noch dazu. Anstatt ihr zu antworten, stellte er ihr eine Frage: »Sind Sie verheiratet? Kinder?«
»Sie wollen also ablenken?« Aber immerhin fing er an sich zu öffnen, dachte Sandra.
»Nein, es interessiert mich wirklich.«
»Soso?« Sie zögerte. »Nein, ledig und, haha, keine Kinder. Das kann alles noch lange warten.«
»Warten Sie nicht zu lange!« Saalfeld wurde ernst. »Ich habe zu lange gewartet. Lange habe ich nicht die Richtige gefunden, dann wiederum waren es die Umstände. Geschäftsreisen, die Karriere. Und plötzlich, ja, entfernt man sich immer mehr von dem Gedanken, aus dem Verschieben wird ein Aufschieben, daraus wird dann Verdrängen, und dann zeigt die Zeit ihr wahres Gesicht. Sie ist gnadenlos, die Zeit. Man bekommt es immer wieder gesagt, aber erst, wenn man es selber erfährt, dann, wenn es zu spät ist, dann erst versteht man es.«
Seltsamer Mann. Erst diese Mauer und dann fängt er an zu philosophieren. Nachdenklich nahm Sandra seine Hand. »Vielen Dank! Ich denke, ich verstehe Sie. In meinem Beruf hat man die Chance, das sehr früh zu lernen.« Jetzt gönnte sie sich auch eine Tasse Tee. »Wir sind uns also einig? Wir sollten keine Zeit verschwenden. Sehen Sie, es würde uns beiden sehr helfen, wenn Sie mir vertrauen würden!«
»Ich brauche aber keine Hilfe. Ich möchte nur allein sein, allein in meinem Haus.« Saalfeld blieb bei seinem weichen, aber wieder schwachen Ton.
»Das respektieren wir alle. Und das werden Sie auch. Wir brauchen nur alle ein kleines bisschen Geduld.« Sandra hielt ihm die halbgefüllte Teetasse vorsichtig an den Mund, und Saalfeld nippte mehrmals. Er musterte sie immer noch, aber mit ihrer liebevollen, entwaffnenden Art schaffte sie Vertrauen.
»Wissen Sie, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass ich hier sein kann. Ihr Haus, ich habe hier etwas verstanden, es hat mir etwas gezeigt. Es ist irgendwie magisch.«
Saalfeld entspannte sich ein wenig. Er bat um mehr Tee.
»Ich weiß, es ist ein besonderer Ort. Er kann Menschen verändern, manchmal gefährlich schnell. Aber was ist schon wirklich gefährlich?«
Es war ungewöhnlich, ihn so reden zu hören. Knallharte Fakten, das schien eher seine Welt
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