Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
und ebenso wieder zu Fall gebracht. Alles ging über den Herd. Leibspeisen, Liebesessen, Abendmahle, Henkersmahlzeiten, Hochzeitsessen. Alles hatte hier seinen Ursprung.
Und an dieser perfekten Feuerstelle hatte Carlo soeben sein Paradies gefunden. So schnell würde er sich von hier nicht vertreiben lassen.
Man konnte die zahllosen dampfenden Pastatöpfe, die hier über all die Jahre »al dente« vom Feuer genommen wurden, immer noch riechen. Schon lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Diese Küche hatte Charakter, Patina. Von so einer Küche hatte er immer geträumt.
Sollten die anderen sich gerne noch ein wenig streiten, er hatte seinen Platz gefunden.
Die anderen, außer Elli, saßen mittlerweile mehr oder weniger erschöpft von der langen Fahrt und dem Streit auf der einladenden Terrasse. Diese bot ihnen einen großzügigen Blick in einen weitläufigen und verwilderten Garten, voller bunter mediterraner Blumen, Sträucher und voralpiner Bäume. Links und rechts auf den beiden Stufen, die sich über die ganze Breite zogen, standen mächtige Pflanzentöpfe mit vernachlässigten Oleandersträuchern und Zitronenbäumchen. Die rechte Seite der Terrasse wurde von wilden Rosen in Beschlag genommen, die sich um die steinerne Brüstung rankten.
Jeder hatte einen Platz gefunden, entweder auf dem Boden, den Steinstufen oder den Gartenstühlen. Man versteckte sich hinter seiner Sonnenbrille. Wobei Tinas Brille herausstach. Zwei untertassengroße, getönte Gläser, eingefasst von einem schneeweißen Gestell, weckten die Vermutung, sie hätte die Brille einer extrovertierten kalifornischen Rentnerin aus den Sixties geklaut.
Elli hatte etwas anderes im Sinn. Sie hatte bereits ihre Spiegelreflexkamera mit großem Teleobjektiv hervorgeholt und knipste wild drauflos. Das Licht war einfach phänomenal. Magic hour, dachte sie sich. Sie schoss nur nebenbei Fotos, vielmehr entzückte sie das Spiel mit den verschiedenen Schärfen. Mal fokussierte sie eine Rosenblüte und ließ die grünen Büsche dahinter verschwimmen, mal ließ sie einen Lavendelhalm unscharf durch das Bild tanzen und hob zwei Olivenbäume weit dahinter hervor.
»Is ja schon schön hier«, sagte Sandra.
In einem kurzen Moment der Eintracht wurde jeder von der blühenden Idylle aufgesogen. Keiner konnte sich der malerischen Szenerie entziehen.
»Irre schön!«, pflichtete ihr Tina bei. »Fast wie auf unserm Balkon am Paul-Linke-Ufer, nur ’n bisschen größer und weniger Lärm.«
»Caffè?« Carlo kam mit einem Tablett voller dampfender, alter Cappuccino-Tassen, Zucker und Löffeln durch die Terrassentür. »Milch war leider keine da.«
In diesem Moment sprang Heiko von seinem kleinen mintgrünen Metallstuhl auf, warf Carlo und Anna einen bösen Blick zu und stapfte in den Garten. Hektisch zückte er sein Telefon.
Jeder nahm sich eine Tasse. Auch Elli ließ sich den verlockenden Kaffee nicht entgehen. Ihr gefiel die Villa außerordentlich. Überall spürte sie eine ganz eigene Energie. Dies war ein besonderer Ort, da war sie sich sicher. Und aus purem Zufall war sie nicht hier. Etwas lag in der Luft und wartete hier auf sie.
Lutz fing schon nach wenigen Minuten an, fürchterlich unter der Sonne zu leiden. Seine Haut brannte, und der Schweiß kitzelte ihn. Ängstlich verzog er sich mit seinem Stuhl in die einzige schattige Ecke. Sollten sich die anderen ihre letzten Gehirnzellen wegbrennen lassen, er war klüger. Nur dumme Menschen setzten sich freiwillig der Sonne aus. Wenigstens hielten alle vorerst die Klappe. So konnte er nachdenken. Er musste herausfinden, was hier vor sich ging.
Anna rutschte unruhig auf ihrem harten Holzstuhl herum. Eines war ihr klargeworden, mit vernünftigen Argumenten konnte man bei diesem verbohrten Ossi nichts erreichen. Es war jetzt besser abzuwarten, ob sich der aufgeblasene Pfau nicht bald selbst ins Aus schießen würde. Dynamisch, als wäre sie immer noch in ihrem Büro, stand sie auf und machte sich daran, das Haus zu begutachten. Auf dem Weg dorthin stupste sie Carlo an, er könne doch bitte schon einmal die ersten Koffer holen! »Ja, machst du das, Schatz?«
Es war eher eine Anweisung als ein Vorschlag.
Der Schwabinger Barrista nickte liebevoll, blieb aber dennoch sitzen und genoss seinen dampfenden Kaffee. Es hatte etwas Zeitloses, wie er mit seiner alten Ray-Ban-Brille und dem schlichten weißen Hemd genießerisch die Tasse zum Mund führte. Die Sonne sah das auch so und betonte zum Geschenk sein Profil.
»Ich
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