Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
war noch nie in Italien«, gestand Sandra. »Nur einmal als Kind am Plattensee, das war’s auch schon. Wir durften am Anfang ja nicht.«
Auf der großen, von der Sonne ausgeblichenen Holzbank war noch reichlich Platz neben Carlo. Sie setzte sich zu ihm und schlug ihre Beine übereinander.
Am Plattensee sei es bestimmt auch sehr schön, meinte Carlo und lächelte sie etwas verlegen an.
»War toll. Aber Italien, na ja, is schon eine Klasse für sich.«
Von weitem beobachteten sie, gleichgültig bis amüsiert, Heiko.
Mit funkelndem Handy am Ohr und der Hand wild gestikulierend, trampelte er im wilden Zickzack durch das hohe Spätsommergras des Gartens.
»Kann dein Freund Italienisch?«, fragte Carlo Sandra.
»Ne, aber ganz gut Englisch.«
Carlo legte den Kopf abwägend zur Seite und unterdrückte dabei ein Grinsen. »Soso. Könnte spannend werden.«
Im ersten Stock stand Anna in einem schlicht, aber dennoch geschmackvoll eingerichteten Schlafzimmer. Links in der Mitte lud ein großes Jugendstilbett zu einem tiefen, traumreichen Schlaf ein. Man musste nur die schwere, mit bunten Blumen bestickte Seidendecke zur Seite werfen, und schon konnte man eintauchen in die wohlige Welt der Sorglosigkeit. Oh, ja, sobald die anderen weg waren, würde sie genau das tun. Schlaf war eine der wenigen unproduktiven Freiheiten, die sich Anna hin und wieder gönnte.
Auf der rechten Seite standen ein liebevoll verzierter Holzschrank und daneben ein aufwendig gearbeiteter kleiner Schminktisch. Der ganze Raum war in sonnentrübes Licht getaucht.
Auch wenn sie stinksauer auf diesen Vermieter war, der sie ganz offensichtlich absichtlich betrogen hatte, so musste sie ihm doch eines zugestehen, guten Geschmack hatte er. Nichtsdestotrotz würde es ihr eine große Befriedigung sein, ihn mit der vollen Wucht ihrer juristischen Erfahrung in Stücke zu reißen. Nur so als kleine Fingerübung.
Sie trat zu den schlanken Holzfenstern und schob die cremeweißen bestickten Vorhänge zur Seite. Sofort war das muntere Zwitschern der Vögel zu hören, und warme Abendluft schwappte herein.
»Ein Zimmer schöner als das andere, was?«
Anna hatte Tina gar nicht bemerkt, die plötzlich hinter ihr im Raum stand. Anna sagte nichts, sondern nickte nur unverbindlich. Die Frau war ihr nicht ganz geheuer.
»Und im Bett, Platz genug für ne ganze Fußballmannschaft, wa?«, sagte Tina.
»Wenn du mich so fragst, ich bin eher eine Tennisspielerin.«
»Wie? Ah, verstehe. Ein Platz und nur zwei Spieler.«
Wieder nickte Anna und verzog dabei leicht den rechten Mundwinkel. Nun, ganz so dumm war die Kleine anscheinend gar nicht.
Völlig unbeeindruckt von Annas Zurückhaltung zuckte Tina mit den Schultern. »Na, so’n paar knackige Italiener, braun gebrannt?«
»Du meinst also das genaue Gegenteil von deinem, wie soll ich sagen, lichtscheuen Freund?«, erwiderte Anna kühl und lächelte überlegen. Eigentlich wollte Anna gar nicht so direkt sein, aber dieser Heiko hatte sie in Fahrt gebracht, und sie hatte immer noch einigen Dampf im Kessel. Die kleine Alternative mit ihrer lächerlichen Fransenfrisur und diesem Berliner Tonfall war ihr daher ein willkommenes Opfer. Selber schuld, wenn sie sich so naiv in die Schusslinie stellte.
Doch das Ökofräulein zeigte sich völlig unbeeindruckt. »Wie de meinst. Wir nehmen det Zimmer hinten rechts. Also auf jute Nachbarschaft!«
Keck sah sie Anna in die Augen und ließ sie dann stehen.
Anna hatte langsam genug. Nicht nur war dies höchstwahrscheinlich ihr letzter Urlaub mit Carlo, jetzt sollte sie auch noch ihre letzten gemeinsamen Tage zusammen mit anderen Leuten, noch dazu völlig fremden, verbringen? Mit einer frechen Kreuzberger Göre, ihrem lichtscheuen Freund, einem Ossi-Streber und dessen dummem blonden Püppchen? Ganz zu schweigen von Carlos manchmal anstrengender Schwester. Das alles passte ihr überhaupt nicht in den Kram. Sie hatte gute Lust, sofort wieder nach München zu fahren. Das war doch, verdammt noch mal, keine Jugendherberge!
Andererseits könnte das heillose Durcheinander auch nützlich sein. So musste sie nicht ständig mit Carlo herumturteln, ihm eine heile Welt vorspielen, die nicht mehr existierte. Vielleicht würde die Anwesenheit der anderen die anstehende Trennung von Carlo sogar leichter machen?
Im ihrem Beruf, da gab es Regeln und Gesetze, schwarz auf weiß, keine unklaren Grautöne. Daran konnte man sich halten, auch wenn es unter den Profis keiner tat. Trotzdem, sie beherrschte
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