Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
sie alle, die komplette Klaviatur der rechtlich abgesicherten Gemeinheiten, und sie setzte sie ohne Zögern und Zaudern und erst recht ohne schlechtes Gewissen ein. Aber privat? London war die große Chance, der richtige Schritt. Aber der Gedanke an ein Leben ohne Carlo machte ihr manchmal gehörig Angst. Vor der Einsamkeit war sie ihr ganzes Leben lang davongelaufen. Sie hatte sich daran gewöhnt, Carlo ständig mehr oder weniger an ihrer Seite zu haben. Auf ihn konnte sie sich verlassen, Carlo war immer da. Oft musste man ihn gar nicht erst rufen, wenn man ihn brauchte, denn er spürte es von sich aus. Er hatte so ein wunderbar einmaliges Einfühlungsvermögen. Manchmal legte er seinen Arm um sie, bevor sie sich selbst richtig bewusst war, dass bei ihr etwas nicht stimmte. Eigentlich war er ein Traummann. Einen wie ihn würde sie nie wieder finden. Mit Sicherheit nicht in der kranken Welt, die in Zukunft ihr Zuhause sein würde.
Ob Carlo spürte, was in ihr vorging, dass sie vorhatte, ihn zu verlassen? Oder ließ ihn sein Gefühl diesmal im Stich? Gerade jetzt, wo es für ihn darauf ankam? Oh Gott, sie war so eine beschissene Egoistin. Sie war auf dem besten Weg, genau der Mensch zu werden, der sie niemals hatte sein wollen. Aber sie konnte nicht anders, auch wenn sie sich schon jetzt dafür hasste.
Anna schaute wieder aus dem Fenster. Im Garten sah sie den ostdeutschen Möchtegern-Yuppie entnervt telefonierend auf und ab trampeln. Wie hieß er noch mal? Heiko? Was für ein wunderschöner Name! Typisch Ossi. Sein Bruder war sicher ein Ronny und seine Schwester eine Meike oder Jennifer.
Einmal war sie sogar mit einem Ossi im Bett gelandet. Ein dummes Versehen vor vielen Jahren bei einer Konferenz in Leipzig. Wie ein dämliches Karnickel auf Speed war er eine Minute auf ihr herumgezuckelt, bevor er völlig erschöpft zusammengebrochen war.
Anna ließ sich auf das verlockende Bett fallen, ohne die Decke vorher zurückzuschlagen. Das ganze Leben schien ein völlig absurdes, durchgeknalltes Karussell zu sein. Sie war so müde. Ihr fehlte der Schlaf von Monaten. Nur ganz kurz die Augen schließen und an ihre Zukunft denken, London, New York, Big Business, am großen Rad mitdrehen. Sie hörte die Stimme ihres neues Chefs: »May I introduce our new partner …«
»Was? No! For today! Friday! Nix next year!« Heiko konnte es nicht fassen. Nicht nur, dass es schon an ein Wunder grenzte, wenn man überhaupt jemanden erwischte, der Englisch sprach. Diese Italiener waren ein komplett hoffnungsloser Fall, unglaublich!
»Nix Rom! Spinnst du? Room! Zimmer! Was? Ach, ein Restaurant? Aber, sorry but Hotel La Luna!? Ach so, renovation? No, no, no, nix reservation … Hotel, Hooootel! Que Hora? Was Ora?« Er gab es auf. »Ja okay, due Pizza Romana! Und du mich auch, ciao!«
Heiko legte auf. Es war aussichtslos. Un-fucking-glaublich! War er denn hier in der Dritten Welt gelandet? Er kam nicht mehr weiter. Anscheinend war alles ausgebucht, oder es gab keine Hotels mehr in Italien. So viel hatte er in den letzten dreißig Gesprächen immerhin herausbekommen. Mein Gott, was hatte die Mafia nur aus diesem Land gemacht. Laut schimpfte er: »Danke schön, ihr Pizzabäcker!« Außerdem schwitzte er. Und das nicht wegen einer heftigen Sexsession mit seiner Kleinen wie eigentlich geplant. Nein! Bis jetzt hatte er nur Stress mit irgendwelchen deutschen oder italienischen Vollidioten oder vorlauten ungevögelten Emanzen. Und sein teures Hemd, er hatte es sich extra für den Urlaub bei einem idiotisch überteuerten Italo-Modefuzzi gekauft, für das richtige »Italien-Feeling«, kratzte und kniff nicht nur, es war auch noch komplett durchnässt!
Er drehte sich zum Haus um und sah Sandra mit diesem dicken Bayern auf der Terrasse sitzen. Ihr schien das ganze Theater wohl nichts auszumachen? Ganz im Gegenteil, sie war bester Laune und schien sich prima mit Mr. Biergarten zu verstehen. Er spürte Eifersucht in sich aufkommen. Aber das war doch lächerlich! Heiko ballte die Faust. Es schien Stunden her, ja in einer anderen Welt gewesen zu sein, als er splitternackt kurz davorstand, sich mit Sandra zu lieben. Heiko sammelte sich. Er musste Ruhe bewahren, souverän bleiben, so wie er es in den Seminaren für kommende Führungskräfte gelernt hatte. Das war der Schlüssel zum Erfolg, zum Sieg. Von jetzt an würde er seine Gegner mit nicht zu toppender Freundlichkeit verunsichern und aus der Reserve locken. Er würde so unverschämt nett sein,
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