Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Veränderung an ihm. Langweilige schwarze Jeans, unscheinbares schwarzes Hemd und die passende farblose Miene. Mit viel Fantasie und Wohlwollen konnte man ihn für den existenzialistischen Designer von Tinas gelungenem Kleid halten. Aber ehrlich gesagt, war es nur der gleiche blutleere Lutz, der das unverschämte Glück hatte, eine derart attraktive Freundin zu haben. Unfassbar, dachte Anna.
Sie ging mit Sandra ins Esszimmer, während Neugierde, Durst und Appetit den halbtoten Lutz und seine dafür umso lebendigere Tina in die Küche trieben.
Auch wenn Carlo schon mehr Wein getrunken hatte als sonst üblich, in der Küche, wenn er kochte, hatte er weiterhin alles im Griff. Sozusagen im Blindflug, so wie ein erfahrener Flugkapitän seinen Riesenvogel per Autopilot über die Ozeane steuerte, genauso schlafwandlerisch bediente Carlo sein Cockpit. Seine Maschinerie, Pfannen, Töpfe, Küchenwerkzeuge, scharfe Messer und Olivenholzlöffel, und seine Zutaten, fein geschnitten und exakt gewürfelt, das komplette Angebot an Gemüse und Gewürzen, Lammkeulen und Hackfleisch, all dies dirigierte er mit einer ernsthaften Leichtigkeit, die seine Zuschauer schwindelig machen konnte. Vor allem, wenn sie, wie Heiko, schon gefährlich tief ins Glas geschaut hatten.
Der große Gasherd war zu einem vielstimmigen Instrument avanciert, auf dem Carlo ein abwechslungsreiches Musical orchestrierte. Unablässig regulierte er die Hitze einer der Kochstellen neu, inszenierte er eine neue Choreographie für die kupfernen Töpfe und schickte eine weitere Zutat hinauf in einen fein abgestimmten Himmel des gehobenen Geschmacks.
Nichts konnte den hervorragend gelaunten Küchenprofi aus dem Konzept bringen. Die Idee, Heiko zu seiner billigen Hilfskraft zu machen, war ihm ganz spontan gekommen. Eigentlich wollte er dem armen verwirrten Kerl damit ein wenig zur Ruhe verhelfen, ihn vielleicht sogar etwas erden, spüren lassen, worauf es im Leben wirklich ankam, zumindest in Carlos Welt. Denn war Carlo von Anfang klar, dass der Oberstratege ihn wegen des Geldes einwickeln wollte. Außer für sich selbst war Heiko für jeden ein offenes Buch, mit besonders großen Buchstaben für Kurzsichtige.
Wie die unbeholfene kleine Schwester der berühmten Schlange Ka aus dem Dschungelbuch hatte Heiko anfangs versucht, ihn einzukreisen, ohne dass Carlo darauf eingegangen wäre. Dann aber hatten sie aus heiterem Himmel angefangen, sich Witze und lustige Geschichten zu erzählen. Lag wohl am guten Wein. Wie zwei Lausbuben auf dem Schulhof hatten sie sich immer weiter angestachelt und noch eins draufgelegt. Fast war es so gewesen, als wären sie schon viele Jahre dicke Kumpel, die sich viel zu lange nicht gesehen hatten.
Wenn dieser Wirrkopf aus Leipzig sich nicht so übertrieben abmühte, seine Unsicherheit zu überspielen, sondern einfach mal lockerließ, dann konnte er ein ganz netter Kerl sein. Es bestand also durchaus Hoffnung.
Kein Wunder, dass Anna überrascht war, als sie in die Küche gekommen war. Er hätte es ihr auch erklären können, warum er mit Heiko mit einem Mal eine solche Gaudi hatte. Er wusste, dass sie den Ossi nicht ausstehen konnte, bis vor zwei Stunden war es ihm schließlich genauso ergangen.
Wie auch immer, Carlo war in seinem Element, er durfte für die ganze Bagage kochen. Das machte ihn glücklich. Und er würde ihnen ein Festmahl kredenzen, das sie so schnell nicht vergessen würden. Sie waren die Marionetten in der Hand eines heimlichen Meisterkochs. Die Dramaturgie für den Ablauf des Menüs hatte er schon Gang für Gang im Kopf durchgespielt. Er würde sie verführen, sie zappeln lassen, ihre Geschmacksnerven zur Verzweiflung treiben, sie mal in die eine, mal in die andere Richtung jagen. Für andere zu kochen, dazu noch mit solchen Zutaten und angestiftet von dieser verzauberten Küche, mehr brauchte es nicht, um seine ganze Leidenschaft zu wecken. Er war kurz davor gewesen, den Urlaub abzuschreiben. Wie im Irrenhaus hatte er sich gefühlt. Der erste versöhnliche Hoffnungsschimmer war der Cappuccino in dem verschlafenen Nest heute Morgen gewesen. Schließlich hatten ihn die südländischen Stunden in Brescia, dieser wahrhaft lässigen Löwin Italiens, für das nervenaufreibende Hick-Hack des Vortags mehr als entlohnt.
Jetzt stand er in diesem Traum von einer Küche, konnte sich austoben und seinen Gästen den Kopf verdrehen. Besonders Anna würde ihm spätestens vor der Nachspeise glücklich um den Hals fallen. Mit seinen
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