Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
kam wieder in Fahrt. Mit einer hastigen Bewegung wischte er sich den Schweiß von der Stirn, »… diese Gier, diesen Machthunger, das können wir uns gar nicht vorstellen. Du und ich. Das spielt sich in einer politischen Dimension ab, die unser aller Leben, ja den ganzen Planeten, unsere Zukunft ultimativ bedroht. Wenn du denkst, die hätten ein Gewissen, dann täuschst du dich gewaltig.«
»Und?« Mehr hatte Carlo nicht zu sagen.
»Wie? Und?«
»Ja, was machst du dagegen?«
»Auf der privaten Ebene bin ich da komplett machtlos.«
Carlo wollte auf etwas anderes hinaus. Er fragte Lutz, ob er denn anders wäre? Ob er frei von der Gier nach Geld und Macht wäre und ob er wüsste, wann Schluss sei? Ob er die große Ausnahme sei, einer, der Genügsamkeit verstehen und wirklich fühlen könne?
»Pah, was denkst du denn? Ich, mein Lieber, ich habe ein Gewissen. Und das lass ich mir auch von keinem nehmen. Von niemandem! Das schwöre ich dir!«
»Und das Geld hier? Der lächerliche Finderlohn oder«, das nächste Wort betonte Carlo besonders, »das Schmerzensgeld?«
Lutz war ihm in die Falle gegangen, das wurde ihm schnell klar. Hinter der Fassade des gemütlichen Bayern verbarg sich also doch ein heller Kopf.
»Hier kreuzen sich die private und die politische Dimension.«
»Sieh mal einer an. So einfach ist das?«
»Ja, so einfach ist das«, sagte Lutz trotzig und floh. Jetzt war es ihm endgültig zu heiß geworden.
Mit einem Kopfschütteln wandte sich Carlo wieder seinem zweiten Gang zu. Dieser Lutz hatte sich nicht nur in was verrannt, sondern belog sich dazu noch schön selbst. Carlo genoss es, endlich allein in der Küche zu sein. Doch leider freute er sich zu früh. Langsam kam er sich vor wie im Theater oder einer Praxis, denn als Nächste machte ihm Tina ihre Aufwartung, gerade so, als hätte sie eine Nummer gezogen.
»Hi, Maître de cuisine! Det riecht ja schon wieder hammerartig!«
»Wir sind hier übrigens in Italien.«
»Si maestro di cucina. Besser? Wat haste denn mit meim Lutz gemacht, der sieht ja ganz verstört aus?«
»Liegt wohl an deinen Heilkräutern.« Auf keinen Fall wollte Carlo das Zeug in seiner Küche haben.
»Nö, det isser doch gewöhnt?«
»Vielleicht liegt’s an der allgemeinen Weltverschwörung?«
Tina verstand sofort. Halb genervt, halb belustigt nahm sie sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank. »Oweija, hat dir Lutz erklärt, wie die Dinge laufen, ja?« Sie schenkte sich ein großes Glas ein und nahm einen ordentlichen Schluck. Carlo gefiel ihre Selbstsicherheit. Jede ihrer Bewegungen strahlte eine bewundernswerte Gelassenheit aus. Man konnte gut meinen, sie wohnte hier seit Jahren und alle anderen waren nur ihre Gäste. Sie war das absolute Gegenteil von Lutz, der oft nur wie ein Schatten wirkte und dessen Gesten manchmal nur schemenhaft waren. Lutz hatte die Gabe, sich selbst so ins Nichts zu filtern, dass man ihn leicht übersehen oder vergessen konnte. Vielleicht war das ja seine Absicht, damit er den Verschwörern entwischen konnte? Carlo wunderte sich, was diese lebensfrohe und selbstbewusste Frau an so einem deprimierenden Mann wie Lutz fand?
Als hätte sie Carlos Gedanken gelesen, sagte Tina: »Früher, da war Lutz anders. Viel lustiger, nich immer so verkopft, weste. Aber vor zwei Jahren hat er erst mit Sport aufgehört, dann mit dem Lachen und zum Schluss mit dem Sex. Oder war’s andersrum? Haha! Liegt wohl an seiner Magistersache. Hat sich irgendwie reingegraben und kommt nich mehr raus, wa? Det darfste allet nich ernst nehmen.«
So viel wollte Carlo überhaupt nicht wissen. Er war verunsichert. Aber Tina stand neben ihm und schaute zu, was er da so zusammenkochte. »Det machste aba fein!«
»Also Entwarnung, keine Weltverschwörung?«, witzelte Carlo.
»Natürlich läuft da ne Riesen-Verarsche. Aber det war ja wohl schon immer so. Da muss man nich viel studieren für. Und so schlecht geht’s uns ja auch wieder nich, wa? Vor allem nich heute Abend, stimmt’s Paule Boküse?«
Carlo musste grinsen, diese Tina war manchmal einfach lustig. Ihre Klappe, so was gab es in München selten. »Du bist vielleicht eine Spezialistin!«, sagte Carlo. Aus seiner Wortschatzkiste war das eine Art Kompliment. Er wusste, dass er mit Worten nicht einmal im Ansatz so locker jonglieren konnte wie mit allem, was er hier in der Küche vor sich hatte.
Ohne Vorwarnung gab Tina ihm einfach einen Kuss auf die Wange, so wie man seinen Onkel oder einen guten Freund küsste,
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