Flaschendrehen: Roman (German Edition)
geben, als sterbenslangweiliges Pärchen Hand in Hand mit Clemens rauszumarschieren, stattdessen trank ich mein Glas in einem Zug leer, in der Hoffnung, vielleicht noch ins Koma zu fallen und nicht ansehen zu müssen, wie Clemens’ Lippen gleich jemand anderes küssten. Denn dass er und Rudi sich abwechseln würden, war klar, auch wenn zwei Kumpels von Rudi etwas anderes hofften. Ben hatte auch gute Chancen, öfter dranzukommen, als Liv lieb sein konnte, mal sehen, wann sie aufsprang, um einem Mädel ein blaues Auge zu verpassen.
Rudi verkündete die Spielregeln.
Es gab zwei Spielrunden. Jede bestand aus zehn Mal Flasche drehen. Runde eins unterschied sich von Runde zwei nur darin, dass in Runde eins die Person, auf die der Flaschenhals zeigte, sich ihren Partner selbst aussuchen durfte, bei Runde zwei musste der, auf den die Flasche zeigte, zwei andere bestimmen, die sich küssen mussten. Mir graute jetzt schon vor Runde zwei!
»Achtet bitte darauf, genug Abstand zum Nachbarn zu halten, damit es klar bleibt, auf wen die Flasche zeigt«, kommandierte Diane in gewohnter Feldwebelmanier.
Sie hatte so viel Übung, dass ich argwöhnisch wurde. Spielte man das in ihren Kreisen zu später Stunde womöglich öfter? So nach dem Motto »Jetzt haben wir wieder ein Tierheim gerettet und Geld für ein Waisenheim in Riga gesammelt, das reicht dicke, um in den Himmel zu kommen, dann wollen wir es mal richtig krachen lassen, der liebe Gott wird schon ein Auge zudrücken, nach so viel Charity«.
Diane dimmte die Lampen, bis nur noch die im Zimmer verteilten Teelichter Licht spendeten.
»Dann mal los!«
Rudi stieß die grüne Weinflasche energisch an, sie war nicht ganz leer gewesen, einige Tropfen flogen aufs Parkett. Die Flasche drehte sich schnell und brauchte lange, bis sie unter großem Geschrei und Ruckeln zum Stillstand kam – und drei Mal darf geraten werden, vor wem. Natürlich vor mir!
Alle schauten mich erwartungsvoll an. Keine Ahnung, was sie erwarteten, Kinky-Küsse mit anderen Mädels, eine Ohnmacht oder dass ich kniff?
Mein Blick schweifte langsam von einem Gesicht zum nächsten. Hier saß so viel emotionaler Zündstoff in einer Runde, wenn ich die Augen schloss und irgendwen küsste, konnte ich immer noch sicher sein, in irgendeinen Fettnapf getreten zu sein. Hatte ich schon erwähnt, dass mir das alles viel zu modern war?
»Los, küssen!«, forderte mich ein Kumpel von Rudi auf, der wohl hoffte selbst dranzukommen.
Auf allen vieren und bewusst langsam bewegte ich mich mit zu einem Kussmund geschürzten Lippen auf Clemens zu, die Messer aller Jüngerinnen im Rücken spürend, nur um im letzten Moment abzudrehen und Rudi einen schwesterlichen Kuss auf die Wange zu geben.
Alle lachten und johlten los. Das Eis war gebrochen. Clemens zwinkerte mir lachend zu.
Erleichtert, das erste Spiel einigermaßen glimpflich überstanden zu haben, gab ich der Flasche einen ebenso schwungvollen Stoß wie mein Vorgänger, in der Hoffnung, dass sie weder bei Diane noch bei Michi stoppte. Bei Michi hatte ich einfach die Befürchtung, sie könne sich noch mal blamieren, und ein Auftritt pro Abend reichte aus, bei Diane musste man generell immer mit dem Schlimmsten rechnen. Meine Berechnungen stimmten, die Flasche stoppte nicht bei Michi oder Diane, sondern bei Ben.
Ben grinste kurz, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und gab Liv einen Kuss, die erleichtert aufatmete.
»Langweiler!« Lala von den Teletubbies, die offensichtlich gern an Livs Stelle gewesen wäre, kicherte.
Ben ignorierte den Kommentar und drehte die Flasche ungerührt weiter. Sie zeigte auf Clemens. Sofort sah mich Ben an, er war einer der wenigen Eingeweihten im Raum. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, aber wen würde Clemens küssen? Mich? Oder war das zu auffällig? Vielleicht ein ihm unbekanntes Mädel … dann war er aus dem Schneider.
Clemens ließ sich Zeit, ich wurde nervös und nicht nur ich, wie ich an Michis Reaktion sah, die Fingernägel kaute. Sich seiner Wirkung bewusst, bewegte er sich in meine und Sarahs Richtung. Sarah begann, unruhig hin und her zu rutschen, die Arme, wer konnte es ihr verdenken.
Clemens kam näher, und zwar eindeutig auf mich zu. Zärtlich nahm er mein Gesicht in beide Hände, schloss die Augen und gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen, vor allen anderen! Das konnte ihn oder mich den Job kosten, aber dieser Moment war es allemal wert. Mein Herz jubelte vor Glück, das war ein Beinahegeständnis gewesen,
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