Flaschendrehen: Roman (German Edition)
zu gut kannte. Mich verwunderte immer wieder, wie Männer im Allgemeinen und Clemens im Besonderen mit nur einem Koffer auskamen.
Die Klingel läutete, das bestellte Taxi für Clemens wartete unten.
Wie er auf mich zuging, groß, gut aussehend, mit diesem Blick und seinem Strahlen, das der Inbegriff des Lebens war, konnte ich mein Glück mal wieder nicht fassen.
Er nahm mich in den Arm und begann unser Abschiedsritual einzuläuten.
»Warum sind wir nicht traurig?«, fragte er.
»Weil wir im Hier und Jetzt leben und jeden Moment genießen, wie er kommt, und glauben, dass es gut ist, wie es ist«, antwortete ich.
»Und was machen wir niemals?«
»Bereuen, wir bereuen nie.«
»Richtig!« Er lächelte und küsste mich so innig, dass ich doch begann, traurig zu werden.
Noch einmal strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht, gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er bald wieder da sein würde, mit einer Geschichte über interessante Meditationstechniken im Gepäck. Ab morgen früh war ich eh wieder so mit Arbeit zugeschüttet, dass ich ihn nicht vermissen würde, denn ich hatte mir vorgenommen, das letzte Sonderheft, an dem ich mitarbeitete, perfekt abzugeben, das war ich der Redaktion und vor allem Feline schuldig.
Auch wenn ich noch gern länger frei gehabt hätte, das lange Ausschlafen, die frische Luft und das gesunde Essen taten mir im Gegensatz zum Redaktionsalltag gut, so freute ich mich dennoch auf die Redaktion, selbst auf Diane, nicht weil ich sie ins Herz geschlossen hatte, Gott bewahre, aber wenigstens hatte sie einen gewissen Unterhaltungswert. Wie sie und Michi wohl Sylvester verbracht hatten? Michi war sich noch nicht sicher gewesen, ob sie zu Hause mit den Eltern feiern sollte, und Diane hatte von einem Galadiner gesprochen. Vor kurzem hätte mich ihr oberflächlicher, auf Geld und Aussehen fixierter Lebensentwurf auf die Palme gebracht, aber das wurde mir immer gleichgültiger.
Hinzu kam, dass jetzt, wo die Zeit bei Phosphor absehbar wurde, sich alles zu verklären begann und es mir sogar wehtat, das, was wir gemeinsam in der kurzen Zeit aufgebaut hatten, einfach zu verlassen, aber ich wusste ja, wofür ich es tat.
»Wo bleibt dein verdammter Beitrag zu den optimistischsten Filmen aller Zeiten? Ich muss noch den Soundtrack dazu beschreiben, das ist aufwändig! Ich brauch das Ding in spätestens einer halben Stunde!«
Vor mir stand eine aufgebrachte Diane, die vor lauter Wut fast schäumte. Hatte ich gesagt, dass es mir Leid tat, die Phosphor zu verlassen? Wenn ja, war das in einem Anfall völliger Umnachtung gewesen, zumindest was Goldstück Diane anging, die gerade durchdrehte. Gut, wir hatten alle keine Lust gehabt, am zweiten Januar wieder zu arbeiten, aber das war kein Grund rumzuzicken, zumal sie anteilig am wenigsten zu tun hatte, der Großteil kam von Michis und meiner Abteilung. »Du bekommst den Artikel von mir wie abgemacht um zwölf und keine Minute früher!«, keifte ich zurück.
Diane zog türknallend ab.
»Was ist denn mit der los?«, fragte Michi. Nicht, dass Diane je eine natürliche Freundlichkeit umgeben hätte, aber so ätzend hatten wir sie noch nie erlebt. Vielleicht hatte sie Sylvester zu tief ins Glas geschaut und litt immer noch an einem Kater, zumindest war von ihrer gut gelaunten, beinahe sanften Stimmung von vor Weihnachten nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben.
Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinen Themen zu. Das Sonderheft hatte den Titel Neues Jahr, neues Glück . Ich bereitete eine Liste von Filmen vor, die entweder mit Vorsätzen zu tun hatten oder so gute Laune verbreiteten, dass man mit einem »Alles wird gut«-Gefühl aus dem Kino kam.
Keine fünf Minuten später platzte Diane wieder herein.
»Könnt ihr mir wenigstens gnädigerweise die Zeilenangaben schicken, damit ich weiß, wie viel Platz mir bleibt?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, rauschte sie wieder ab und ließ einen verächtlichen Kommentar »Alles Dilettanten« fallen. Michi und ich sahen uns fragend an. Das übertraf auch für Dianes Verhältnisse alles bisher Dagewesene. Michi beugte sich zu mir herüber.
»Sag mal, bilde ich mir das ein, oder hatte sie knallrote Augen? Wenn es sich nicht um die stoische Diane handeln würde, könnte ich wetten, dass sie geweint hat.«
Leider konnte ich dazu nichts sagen, ich hatte jeden Augenkontakt vermieden, um nicht ausfällig zu werden. Bevor ich weiter darauf eingehen konnte, kam
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