Flaschendrehen: Roman (German Edition)
verschwanden. Man durfte nicht vergessen, dass Sarahs Modesinn in den späten Achtzigern geprägt worden war. Sie als Paradepopperin hatte natürlich stets ein faltenfreies, nach Weichspüler riechendes hellblaues Lacoste-Polohemd getragen und im Winter die obligatorische rosafarbene Elho-Daunenjacke. Wie hatte ich sie um ihre Markenklamotten beneidet! Für meine Eltern war Marco Polo ausschließlich der Name eines Entdeckers, nach dem höchstens noch Reiseführer benannt werden durften. Aber simple Shirts, deren Preis sich durch den Aufdruck des gleich klingenden Markennamens um ein Vielfaches erhöhte? Rudi, dem alles stand, hätte auch mit Takko-Klamotten noch eine gute Figur gemacht, aber für mich gab es nichts Schlimmeres, als diese ohne Pestizide gefärbten Wollklamotten vom Wochenmarkt, die mir meine Mutter damals andrehen wollte und die sie am selben Stand kaufte, an dem es auch den Fair-Trade-Kaffee gab. Muss ich mehr erläutern?
Zum Glück gab es meine Großeltern oder »die Kapitalisten«, wie mein Vater sie zu betiteln pflegte. Sie standen für alles, wogegen meine Eltern kämpften. Villa in bester Lage, zwei Limousinen und einen kleinen Wagen für die Stadt, Segelboot und Wochenendhaus. Bedienstete, Golfspieler, Flugschein und Swimmingpool. Beim »Feind«, ich zitiere meinen Vater, gab es alles, was mich für einen kurzen Moment zum normalen Teenager machte. Lenor, Eszet-Schnitten aufs WEISS !Brötchen, Cola, Fernsehen und Markenprodukte, wohin das Auge reichte! Ohne meine Großeltern hätte ich die Pubertät niemals ohne größere Schäden überstanden.
»Die Premiere ist am Potsdamerplatz. Wie kommen wir da am besten hin?«
»Lass mich fahren, das geht schneller. Sieh dir die Straßenschilder an und lerne!« Sarah nahm auf dem Fahrersitz Platz.
Sehr gut, dann durfte sie ’nen Parkplatz suchen und kam außerdem nicht auf die Idee, im Auto zu rauchen. Sarahs Laster war das Rauchen, und zwar Kette, was überhaupt nicht zu ihrer ansonsten so disziplinierten, aufgeräumten blütenweißen Art passte. Ich zog sie immer damit auf, dass sie nur so viel putze, um gelben Raucherfingern vorzubeugen, und sich die Hautkuppen lieber abscheuerte, als das Qualmen zu lassen.
»Und was ist das jetzt noch mal für ein Film?«, fragte Sarah zerstreut. Man konnte nur hoffen, dass sie diese Aussetzer nie im Job hatte.
»Wie oft denn noch? Ein Haifilm«, antwortete ich ungeduldig.
Sarah bremste gerade noch rechtzeitig vor der roten Ampel und sah mich irritiert an.
»Aha, und wer spielt da mit?«
Wie bitte? Sprach ich Chinesisch?
»Na, ein weißer Hai, vielleicht ein Hammerhai, und wenn wir Glück haben, ein Katzenhai. Sarah, hörst du mir eigentlich zu? Ich hab dir doch schon gesagt, dass wir ins IMAX gehen, zur Europapremiere des Haifilms von Jacques Cousteaus Sohn.«
Sie winkte genervt ab.
»Ist ja gut. Eigentlich auch egal, welcher Film prämiert wird, Hauptsache, ich lerne deinen Wunderchef Clemens kennen und es gibt Häppchen!«
Sarah war notorisch scharf auf Häppchen. Ich hatte die Theorie, dass Häppchen gut zu ihren anderen anal fixierten Neurosen passten, weil Häppchen immer so akkurat und fast schon abgezirkelt zubereitet waren. Sozusagen ordentliches Essen. Und was den Wunderchef anging, konnte ich gut verstehen, dass sie ihn kennen lernen wollte, schließlich erzählte ich seit Wochen von nichts anderem. Noch nie war ich so gern zur Arbeit gegangen, und Überstunden gehörten neuerdings zu meinem liebsten Hobby, vorausgesetzt, Clemens machte auch welche. Leider war ich nicht die Einzige, auf die Clemens’ Anwesenheit motivierend zu wirken schien, denn der Rest der weiblichen Belegschaft war genauso arbeitswillig. Keine Ahnung, wie er es schaffte, aber er hatte so eine Art an sich, dass man einfach da sein wollte, wo er war. Zumindest kam unser Einsatz dem Blatt zugute. Unsere erste Ausgabe sollte in einigen Wochen erscheinen und hatte, soweit ich es objektiv beurteilen konnte, nichts mehr mit der früheren Phosphor gemein. Covergröße, Layout, Rubriken und natürlich der lockere Schreibstil machten die Phosphor zu einem völlig neuen Blatt.
Da Sarah sich wirklich gut auskannte, waren wir schnell am IMAX , stellten das Auto in der Tiefgarage ab und eilten mit den Einladungen in der Hand zum roten Teppich.
Wir wedelten mit den Karten, wollten schnell weiter, doch die Security hielt uns zurück. »Kann ich bitte die dazugehörigen Presseausweise sehen?« Der auf FBI aufgemotzte Typ – »Wir
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