Flaschendrehen: Roman (German Edition)
sie immer noch, den Verstand Oberhand gewinnen zu lassen, aber ich sah ihr an, dass sie sich quälte. Es brach mir fast das Herz. Vorsichtig und ohne schmerzhafte Details erzählte ich das Nötigste. Sie musste nicht wissen, wie glücklich ich war und dass Clemens alle Erwartungen, die er auf den ersten Blick weckte, bei weitem übertraf.
Sarah war tapfer und zwang sich zu einem Lächeln.
»Na ja, wer kann’s ihm verübeln. Du bist ja auch toll, ich kann Clemens verstehen.«
Das war wahre Größe und tat mir umso mehr weh. Es gab nichts, was ich tun konnte, um ihr zu helfen, außer mit Clemens Schluss zu machen, das war mir klar.
»Wenigstens hat Diane ihn nicht bekommen«, frohlockte Sarah tapfer.
»Ja, aber sie weiß es nicht, weil wir es in der Redaktion geheim halten müssen«, antwortete ich.
Trotzdem war es Sarah eine Genugtuung, dass zumindest jemand aus unserem Team mit Clemens zusammen war und nicht Diane oder eine andere im Rennen um ihn gesiegt hatte.
»Sag, kann ich irgendetwas machen oder lassen, um es dir leichter zu machen?«, fragte ich nach.
Sarah überlegte.
»Hm, also ehrlich gesagt, wäre ich jetzt gerne ein bisschen allein, und wenn wir uns in nächster Zeit nur zu zweit treffen könnten, ohne Clemens, würde mir das auch helfen, glaube ich.«
Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Sarah begleitete mich zur Tür. Wir umarmten uns.
»Sag, hat er vielleicht ’nen ledigen Bruder«, versuchte Sarah einen Scherz.
»Leider nur Schwestern, aber ich frage gleich nach Cousins oder Halbbrüdern.« Es war eine schwierige Situation, aber Sarah verhielt sich so anständig und fair, wie man sich nur verhalten konnte. Wahrscheinlich dachte sie an ihren Ärzteeid, den sie hatte schwören müssen, bestimmt machte das einen zu einem besseren Menschen. Mit Sicherheit könnte ich nicht sagen, wie ich an ihrer Stelle reagiert hätte. Im besten Fall genauso, aber meine Hand würde ich nicht dafür ins Feuer legen.
»Gehen wir morgen auf den Kollwitzmarkt einkaufen?«, versuchte ich wieder Normalität herzustellen. Sarah liebte den Markt samstags am Kollwitzplatz. Stundenlang konnte sie an den Ständen Fisch, frische Ravioli, Wurst mit Ökosiegel und Eier von glücklichen Hühnern einkaufen. Man musste nur vor zwölf da sein. Ab Mittag waren die Gänge nämlich verstopft, weil dann auch all diejenigen aus dem Viertel auf den Mark strömten, die das Improvisationstheater am Abend zuvor besucht hatten und nach einer langen Nacht erst um elf ausgeschlafen waren.
Sarah lächelte, sie hatte verstanden, was ich sagen wollte.
»Nur wir beide um zehn?«
»Nur wir beide um zehn!«, antwortete ich erleichtert. Wir hatten auch diese Situation gemeistert, na ja, ehrlich gesagt, hatte Sarah sie gemeistert, sie war eben die beste Freundin der Welt, und falls wir je wieder in eine ähnlich doofe Situation kommen würden, nur mit vertauschten Rollen, würde ich mich auch so verhalten, nahm ich mir fest vor.
»Wo soll der Champagner hin?«
Es war Samstag. Am Abend stieg endlich die von Rudi und jedem, der nicht seine Wohnung dafür hergeben musste, ersehnte Einweihungsparty. Wenn mich nicht alles täuschte, würde ganz Berlin samt brandenburgischem Umland bei mir vorbeischauen, und so wie Rudi eingeladen und Werbung gemacht hatte, würde es mich nicht wundern, wenn Bürgermeister Wowereit zum ersten Korkenöffnen samt Delegation erscheinen würde – nur ein rotes Band zum Durchschneiden würde es leider nicht geben.
»Stapel den Champagner im Kühlschrank, bitte«, gab ich Rudi Anweisungen, der so guter Laune war, wie ich früher vor dem Geschenkeöffnen unterm Weihnachtsbaum, bis meine Eltern bei der Aktion »Verzicht auf Konsum« mitgemacht hatten und es keine Geschenke mehr gegeben hatte, zumindest keine gekauften. Selbst gemacht hieß die Devise, im Keller standen mindestens zwei Kartons mit selbst gemachten Vasen, Makrameeampeln, Batikbriefpapier und Seifen, bei deren Herstellung etwas schief gelaufen war, denn wenn man versuchte sie zu benutzen, flossen oder fielen sie sofort auseinander.
Meine Wohnung sah aus, als ob ich nie eingezogen wäre, so sauber und aufgeräumt war sie. Ein paar Möbel hatte ich vorübergehend im Keller eingelagert, damit mehr Platz war, falls ganz Mutige später tanzen wollten. Leila, die gute Seele, hatte sich extra eine Aushilfe für ihren Laden besorgt und half uns bei den Vorbereitungen, die sich im Rahmen hielten, da ich Essen und Häppchen beim Catering bestellt hatte. Zum
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