Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
also, dass Dara eine Affäre mit ihrem Chef Harvey Soundso hatte und dass dein Vater sie umgebracht hat, nachdem
er davon erfahren hatte? Oder diesen Autounfall arrangiert hat, bei dem auch ein älteres Ehepaar und ein Lastwagenfahrer gestorben sind? Traust du ihm das wirklich zu, Val?«
    Er starrte mich wütend an, und ich wusste, dass er es bedauerte, mir von dem alten Handy erzählt zu haben. Die Wirkung des Marihuanas verflüchtigte sich und mit ihr die Nähe zwischen uns.
    »Ja. Und wenn du jetzt drauf raus willst, dass ihr der Alte nie was getan hätte, das kannst du dir sparen. Du hast keine Ahnung von dem Alten. Du hast keine Ahnung von Cops.«
    Ich nickte nur, denn er hatte recht. Ich hatte nie viel mit Polizeibeamten zu tun gehabt – hatte es auch gar nicht gewollt –, und trotz meiner Besuche, als Val noch klein war und ich noch in der Nähe wohnte, ist mir der Umgang mit Detective Nick Bottom nie leichtgefallen.
    Statt einen Mann zu verteidigen, den ich nicht kannte, wechselte ich das Thema. »Könnte ich die verschlüsselte Datei sehen?«
    Ich spürte Vals Widerstreben, dazu die Wut auf sich selbst, weil er mir ein Geheimnis verraten hatte, das er fünfeinhalb Jahre lang gehütet hatte. Ohne das Telefon aus der Hand zu geben, schaltete er es ein, tippte sich durch die Icons und hielt das Display hoch, damit ich es in der Dunkelheit von Nevada erkennen konnte.
    Nach einem langen Blick bat ich Val, ein Stück vor wärtszublättern. Unwillig folgte er meiner Aufforderung. Dann schaltete er das Handy aus und stopfte es in die Hosentasche. Er drehte sich von mir weg und zog die dünne Decke über die knochigen Schultern.
    Aber für mich war die Unterhaltung noch nicht beendet. »Du brauchst ein Passwort, Val. Mit fünf Buchstaben.«
    Der Junge schnaubte. »Was du nicht sagst, Alter.«
    Ich ließ die Grobheit unkommentiert. Auf einmal packte mich
eine seltsame Erregung. Vielleicht enthielten diese verschlüsselten Dateien eine Botschaft an mich. Als Dara klein war, hatten wir uns gern codierte Mitteilungen geschickt. »Vielleicht könnte ich dir helfen …«
    Ich hatte mir zu viel von meiner Begeisterung anmerken lassen.
    Val zog die Decke ein Stück höher und schob sich weiter von mir weg. »Ich weiß, was für Wörter Mom für so eine Verschlüsselung verwendet hätte. Keins davon funktioniert. Außerdem ist es unwichtig, Alter. Wahrcheinlich sterben wir sowieso morgen bei der Fahrt durch den Canyon. Es ist unwichtig. Völlig scheißunwichtig. «
    Die ordinäre Wortwahl klang wie eine Parodie auf den Polizeiton seines Vaters, den dieser allerdings in meinem Beisein kaum benutzt hatte. Blödsinn, du eingebildeter kleiner Pinsel , schoss mir durch den Kopf, aber das behielt ich für mich.
    Nach einiger Zeit flüsterte ich: »Carol. Es könnte Carol sein. Der Name ihrer Mutter.«
    Val klang schon ganz schläfrig und benommen, als er ein letztes Mal antwortete. »Nein. Hab ich schon probiert. Ich sag’s dir doch … Ich hab alle Scheißwörter mit fünf Buchstaben ausprobiert, die ihr was bedeutet haben. Dann bleibt … es eben … verschlüsselt. Schlaf, Leonard. Wir müssen … morgen ganz früh raus. Lass wenigstens mich schlafen …, verdammt.«
    Ich ließ ihn schlafen.
    Nachdem ich ungefähr eine Stunde zu den kalten Wüstensternen hinaufgestarrt hatte, setzte ich mich lautlos auf. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und ich sah das Telefon, das halb aus Vals Hosentasche ragte. Er schnarchte um einiges lauter als sonst.
    Ich kannte das Passwort mit fünf Buchstaben. Ich war mir völlig sicher.

    Ich streckte den Arm nach dem Handy aus, doch dann überlegte ich es mir anders. Wenn möglich wollte ich das Wort nur mit Vals Erlaubnis versuchen, damit sich Daras verschlüsseltes Tagebuch vor unseren Augen in lesbaren Text verwandelte.
    Wenn möglich. Falls es nicht möglich ist, werde ich das Telefon eben an mich nehmen und die Seiten allein lesen. Aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass Daras letzte geheime Botschaft an die Welt wichtiger ist als die Gefühle eines missmutigen Sechzehnjährigen.
    Das notiere ich in mein eigenes handgeschriebenes Tagebuch, das ich vor Val verstecke, damit er es nicht findet. Vor dem Einschlafen werde ich an meine Tochter denken und an den Grund, weshalb ihre Wahl auf dieses bestimmte Wort gefallen ist, das nach meiner festen Überzeugung den Schlüssel zu ihrem Vermächtnis bildet.

1.11
NEW MEXICO, NÖRDLICH VON LAS VEGAS
    MITTWOCH, 15.

Weitere Kostenlose Bücher