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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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verrutschtes Lächeln auf und zeigte mir das Telefon.
    »Es hat meiner Mom gehört, deiner …, du weißt schon. Also wie gesagt, da sind keine auffindbaren Chips mehr drin – hab sie vor fünf Jahren selbst rausgerissen –, aber was sie täglich draufgesprochen hat, um sich an was zu erinnern, ist noch da, und ein Haufen Tagebuchtext, den ich gern lesen würde, aber es geht nicht.«
    Ich nickte, obwohl mir bei der Sache nicht ganz wohl war. Das Gespräch hing an einem seidenen Faden. Ein falscher Ton, ein falsches Wort von mir, und er war durchtrennt.
    Leise antwortete ich: »Bist du sicher, dass du ihre Stimme und ihre privaten Gedanken hören willst, Val? Manchmal sagen Erwachsene für sich Dinge, die sie nicht unbedingt mit anderen …«
    Mit einem Knurren schüttelte Val den Kopf. Ohne die besänftigende Wirkung des starken Marihuanas, das Joe Valdez und seine Frau Juanita aus Altmexiko mitgebracht hatten, hätte er mir bestimmt wütend den Rücken zugekehrt.
    So aber redete er weiter. »Ja, ja, ja …, aber ich glaube, in dem
Tagebuch steckt vielleicht der Schlüssel, warum sich mein Alter gegen sie gewandt hat …, sie vielleicht sogar umgebracht hat.«
    »Umgebracht!«, entfuhr es mir. Unwillkürlich schlug ich mir beide Hände vor den Mund.
    Val zuckte zusammen und schaute zur geschlossenen Falttür. Doch von Julio und Perdita war nichts zu hören.
    Val kehrte mir auch nicht den Rücken zu. Noch nicht. Aber sein Flüstern wurde zu einem schnellen Zischen, dem jede jointbedingte Entspanntheit fehlte. »Leonard, du hast mich schon tausendmal gefragt, warum ich meinen Alten hasse. Die Antwort liegt vielleicht in dem verschlüsselten Tagebuch. Das ist der Hauptgrund, warum ich das Telefon die ganze Zeit aufgehoben habe.«
    »Val, du hasst deinen Vater doch nicht …«
    »Und ob, verdammt noch mal. Ich hasse den Scheißkerl, und wenn wir irgendwie lebendig nach Denver kommen, dann stöbere ich ihn auf in der Flashbackhöhle, in der er vor sich hin gammelt, verpasse ihm einen Tritt, damit er aufwacht, und jage ihm eine Kugel in den Bauch …«
    Ich wusste nicht, was ich auf diesen Wahnsinn antworten sollte, also schwieg ich. Und das war der einzige Grund, warum es aus dem aufgeregten Jungen weiter heraussprudelte.
    »Er hat was rausgefunden über Mom, Leonard, und dann hat er sie umgebracht. Oder umbringen lassen. Das glaube ich wirklich. «
    Ich wollte etwas er widern wie »Aber deine Mutter ist bei einem Verkehrsunfall gestorben, Val«, doch ich wusste, dass ich auf diese Weise den Kontakt zu ihm verloren hätte. Das Gespräch wäre genauso unvermittelt zu Ende gewesen, wie es angefangen hatte.
    Ich räusperte mich. »Womit sollte sie deinen Vater so verärgert haben?«

    Val faltete sich zusammen, bis er nur noch ein versteinertes Bündel aus eckigen Knien und Ellbogen, gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf war. »Das weiß ich nicht. Aber in den letzten Wochen – verdammt, Monaten – vor diesem praktischen Autounfall war sie ziemlich viel weg. Hat sich heimlich davongeschlichen. Wenn der Alte auf dem Revier eine Doppelschicht eingelegt hat oder das ganze Wochenende weg war – manchmal vier oder fünf Tage am Stück –, dann ist auch Mom abgetaucht. Wenn sie über Nacht weggeblieben ist, hat sie mich immer zwei Häuser weiter bei der schrulligen alten Großmutter von meinem Freund Samuel abgeliefert, die so komisch gerochen hat. Der Alte hat nie was davon erfahren. Mom hat mich schwören lassen, dass ich es nicht verrate, Leonard. Eine Mutter, die ihren zehnjährigen Jungen schwören lässt, dass er dichthält, stell dir das mal vor!«
    Ich ließ es mir durch den Kopf gehen. Das klang überhaupt nicht nach meiner Tochter Dara, dem Licht meines Lebens. So ein Verhalten war mir völlig unerklärlich. »Was hat sie denn getan, Val? Meinst du, sie hatte … eine Affäre?«
    Nicht zu fassen, dass ich meinem sechzehnjährigen Enkel so eine Frage stellte. Doch auf einmal wollte ich genauso dringend die Wahrheit erfahren wie dieser gequälte Junge.
    Er zuckte die Achseln und schien plötzlich sehr müde. »Ja, wahrscheinlich. Wahrscheinlich mit diesem Fettsack von Bezirksstaatsanwalt, diesem Harvey Cohen. Das ganze letzte Jahr hat er Mom immer abgeholt, wenn der Alte in der Arbeit war. Und der Alte war ständig in der Arbeit.«
    Mein Mund war ganz trocken, und der Schmerz in meiner Brust wurde bohrender, doch der Grund dafür war nicht Mitgefühl, sondern das verräterische Herz eines alten Mannes. »Du glaubst

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