Flashback
finden, der Ihren Sohn erschossen hat … Ich möchte Ihnen noch einmal mein Beileid zu seinem Tod ausdrücken.«
Die Frau senkte den Blick und gestattete sich eine kurze, dramatische Pause. »Jahhh.« Die gehauchte Silbe war der Ausdruck von purem Schmerz. »Der arme William.« Wie die Beziehung zu ihrem Sohn Billy auch gewesen war, offenbar hatte die Trauerzeit keine ganze Woche gedauert. Auch war nicht zu übersehen, dass sie die Aufmerksamkeit der Medien und der Polizei genoss und bis zur Neige auskosten wollte. Sie wirkte wie unter Drogen oder betrunken. Oder ein wenig von beidem. Wegen ihres leichten Akzents
und des nicht ganz so leichten Lallens musste sich Nick konzentrieren, um sie zu verstehen.
Nick hatte die Privatdetektivmarke mit seinem Namen darauf gezückt. Falls sie Vals echten Namen gekannt hätte, wäre Nicks eher dürftige Tarnung aufgeflogen. Aber Miss Kschessinska hatte gar nicht aufgepasst. Nick hatte das Gefühl, dass sie schon seit einigen Jahren auf so einiges nicht mehr aufgepasst hatte – unter anderem auf ihren kürzlich verblichenen Sohn.
»Sie haben erwähnt, dass Ihr Sohn William dem verschwundenen Jungen Val Fox, nach dem wir suchen, kurz vor dem … Vorfall beim Disney Center eine Schusswaffe gegeben hat.« Nick hatte ein kleines Notizbuch mit Stift herausgenommen, doch bisher stand darin nur in winzigem Copgekrakel: Sie stinkt.
»O ja, Detective … äh … Botham. Das hat mir William tatsächlich vor Kurzem erzählt.«
Und du hast nicht die Polizei informiert, dass dein Sohn mit Waffen handelt? Nick verbesserte sie nicht, was seinen Namen betraf. Noch bevor er sich die nächste Frage überlegt hatte, fuhr Miss Kschessinska fort.
»Sie müssen verstehen, Detective, mein William war immer in Sorge um meine Sicherheit, um die Sicherheit seiner Freunde, um die Sicherheit aller … Wir leben in einer gefährlichen Stadt, Detective! Da genügt schon ein Blick durchs Fenster.«
»Natürlich, Ma’am. Wissen Sie noch, was für eine Schusswaffe das war, die Ihr Sohn diesem Fox gegeben hat?«
»Ach, die anderen Polizisten haben es erwähnt. Sie müssen sie nur fragen. Der Name fing mit einem B an, wenn ich mich recht erinnere. «
»Browning? Bauer, Bren, Beretta … «
»Das war’s«, unterbrach ihn die Frau. »Der letzte. Beretta. Hübscher Name. Möchten Sie einen Drink, Detective? Ich gönne mir immer einen kleinen am Nachmittag, vor allem in dieser
schrecklichen Zeit, seit William … « Sie drohte in Tränen zu zerfließen.
»Nein danke. Aber genehmigen Sie sich ruhig ein Glas.« Er wies sie nicht darauf hin, dass es erst kurz vor zehn Uhr Vormittag war.
Sie mischte und rührte mit der vollen Aufmerksamkeit einer schweren Trinkerin. »Sind Sie sicher, dass Sie mir nicht Gesellschaft leisten wollen, Detective? Ich habe genug … «
»Haben Sie die Beretta zufällig gesehen, Miss Kschessinska?«
»Was? O nein! Selbstverständlich nicht.« Mit einem hohen Glas kehrte sie zu ihrem Lieblingssessel zurück. »Aber William hat mir davon erzählt. Er hat mir doch alles anvertraut. Hat mir gesagt, dass dieser Freund von ihm, dieser Hal … «
»Val.«
»Egal. Er hat mir gesagt, dass dieser Freund zu ihrer kleinen Clique gehört, zu ihrer Jungenclique. Aber dieser Hal oder Val war eigentlich ein Spielverderber.«
»Wie das?«, fragte Nick gelassen.
»Ach, nur Kleinigkeiten … Zum Beispiel, dass er sich nicht beteiligen wollte, wenn die anderen Jungs ihre kleinen Experimente gemacht haben.«
»Experimente?«
»Na ja, diese kleinen Experimente mit Sex und so. Das machen doch alle Jungs.«
»Meinen Sie Sex mit Mädchen, Miss Kschessinska?«
»Natürlich mit Mädchen!« Die schwergewichtige Frau mit der schmelzenden Gesichtstünche echauffierte sich. »William würde nie …, hätte nie … «
»Dieser Val Fox hat sich also nicht beteiligt, wenn die anderen Sex mit einem oder mehreren Mädchen hatten?«
»Ja, genau.« Miss Kschessinska war noch nicht völlig besänftigt.
Gruppenvergewaltigung , kritzelte Nick in sein Notizbuch. Damit hatte es schon vor sechs Jahren, als er noch bei der Polizei von
Denver war, bei fast allen Flashgangs angefangen. Mit Hilfe der Droge ließen sie die Vergewaltigung – meistens einer Minderjährigen – immer wieder aufleben. Dann gingen die Banden oft zu körperlicher Gewalt über: Misshandlung und Folter von jüngeren Kindern, Pennern oder Flashbacksüchtigen, die sich unter dem Einfluss der Droge nicht wehren konnten. Zuletzt folgte dann
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