Flashback
Dauer von mehreren Stunden.
»Danke.« Nick schloss den Beutel und ließ ihn auf den Teppichboden neben seinen Füßen fallen. Es war sieben lange Tage und Nächte her, dass er zuletzt Flash genommen hatte, aber er stellte fest, dass ihn der Anblick der Ampullen nicht so erregte wie in den letzten fünf Jahren. Eigentlich wurde ihm sogar fast übel bei dem Gedanken, das Zeug zu inhalieren und sich seiner Wirkung zu überlassen.
»Sato.« Seine Stimme war leise und fest. »Von den Leuten, die Keigo interviewt hat, höre ich immer wieder, dass er sie nach F-2 gefragt hat … Flashback 2, diese alte Legende. Ist da irgendwas im Busch?«
»Im Busch, Bottom-san?«
»Läuft da was mit F-2, von dem ich nichts weiß?«
Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf auf die für ihn typische Weise, die mehr die Schultern und den Oberkörper beanspruchte als den massigen Hals. »Angeblich soll dieses F-2 in den letzten Monaten auf den Straßen von New York und Atlanta verkauft worden sein, aber soweit ich das beurteilen kann, sind das nur Gerüchte. Es gibt immer Gerüchte, dass diese Fantasiedroge irgendwo aufgetaucht ist.«
»Ja.« Nick konnte Sato nur zustimmen. Wenn sich eines dieser Gerüchte als wahr erwiesen hätte, dann wäre F-2 binnen einer Woche im ganzen Land erhältlich gewesen. Eine Nation, die mit Flashback die Sehnsucht nach ihrer eigenen Vergangenheit auslebte, war einfach reif für die Fantasieversion dieser Droge. Und da es eben nicht überall aufgetaucht war, war Flashback 2 noch immer ein Mythos. Zum Teil fand Nick das schade. Zum Teil war er einfach … verwirrt.
Und hundemüde. Er hätte die Finger vom Sake lassen sollen.
Nick blickte durch das Fenster der Maschine. Sie hatten ein Wolkenfeld passiert, und Mond und Sterne schienen auf die verschachtelte Landschaft acht Kilometer unter ihnen. Bei Flugreisen in seinen jüngeren Jahren hatte es auch in dieser kargen Gegend noch mehr Lichterkonstellationen von kleineren Orten gegeben. Aber all das war verschwunden, da die Dörfer im Westen und auch anderswo in den noch verbliebenen Vereinigten Staaten der Wirtschaft und anderen neuen Realitäten zum Opfer gefallen waren. Gefühlsmäßig hätte man wohl angenommen, dass kleinere Orte bei Katastrophen bessere Überlebenschancen hatten, doch es hatte sich erwiesen, dass sie im Gegenteil sogar anfälliger und weniger belastbar waren als Großstädte. Angesichts der undurchdringlichen Dunkelheit stellte sich Nick die Menschen vor, die in den letzten eineinhalb Jahrzehnten aus diesen reglosen Dörfern geflohen
waren – Millionen neue Obdachlose, die ihr Heil oder zumindest das Überleben in den notleidenden Städten suchten.
Irgendwann, während unter ihm die grau zerzausten westlichen Schluchten, Berge und Wüsten vorbeizogen, nickte er ein.
»Warum ist er hier?« Nick schaute Chief Ambrose an, den Freund und ehemaligen Schüler seines Vaters, der ihn vorbei an überbelegten Hafträumen zu einer Zelle führte, die nur mit einem Mann belegt war.
»Kurz nach Beginn der Kämpfe wurden sein Vater und Großvater ermordet.« Ambrose sperrte die Zellentür auf. Er hielt inne, um zu Ende zu sprechen. »Offenbar wurden sie nicht bei den allgemeinen Gefechten getötet, sondern ermordet – das glaubt zumindest Roberto. Seine Reconquistaeinheit wurde bei Culver City abgeschnitten, und Roberto hat befürchtet, dass er ebenfalls hingerichtet wird, wenn er sich der Nationalgarde oder einer der Söldnerarmeen aus Mulholland oder Beverly Hills stellt. Also hat er sich zusammen mit ein paar Überlebenden aus seiner Einheit einer Streife der California Highway Patrol ergeben, und wir haben ihn hierher ins Gefängnis des Südreviers in Glendale gebracht.«
Nicks gestohlener Nissan stand draußen auf dem mit Mauern und Stacheldraht geschützten Besucherparkplatz vor der CHP-Zentrale an der North Central Avenue. Er konnte nur hoffen, dass kein Beamter auf die Idee kam, die Kennzeichen zu überprüfen.
»Glaubst du, dass er mit mir redet?«, fragte Nick.
»Am besten, du probierst es aus.« Dale Ambrose machte die Tür auf. Die Metallzelle in der Mitte des größeren Raums wirkte seltsam auf Nick. Ambrose nickte und ging.
Nick und der junge Mann – schätzungsweise Ende zwanzig – waren allein bis auf die deutlich sichtbare Kamera hinten in der Ecke knapp unter der Decke. Jeder auf einer Koje saßen sie sich gegenüber.
»Ich bin Roberto Emilio Fernández y Figueroa.« Die Stimme des jungen Mannes klang fest. »Jemand
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