Flashback
Leonard auf der Rückbank rast Nick in dem Chevrolet Camaro SS, Baujahr 2015, den K. T. Lincoln vom Abschlepphof der Polizei besorgt hat, auf dem Highway 287 – 385 mit über zweihundert Stundenkilometern in südliche Richtung durch die Savannen von Colorado.
Zu beiden Seiten des weißen Autos, das über die leere zweispurige Autobahn donnert, liegt endloses Grasland. Die lächerlichen Streifenwagen des Denver Police Department und der Colorado Highway Patrol haben sie längst hinter sich gelassen, und auch Nakamuras wasserstoffbetriebene Schlitten hatten keine Chance, sie einzuholen, nachdem sie von der I-70 nach Süden abgebogen sind. Schon seit fünfzig Kilometern reißt Val immer wieder jubelnd die Faust hoch.
Der fast zwanzig Jahre alte Camaro mit Vortechkompressor spielt seine 603 PS und das Drehmoment von 702 Newtonmetern voll aus. Kein zugeschalteter Elektromotor, nur das brüllende L99-V8-Getriebe mit 6,2 Litern Hubraum, das den hochoktanigen Sprit gallonenweise frisst.
Die Windschutzscheibe und die Fenster des Camaro sind nur überglaste Schießscharten, und Val hatte bereits Gelegenheit, seine zu benutzen. Nach dem Schrotflintenschuss ist die Motorhaube eines Streifenwagens explodiert, und dieser hat sich in einer Wolke
aus Staub gedreht. Das war der letzte Verfolger, bevor sie durch Springfield kamen.
Hinten auf dem Rücksitz studiert Leonard Papierlandkarten, obwohl Betty und das Navigationssystem des Camaro Minute für Minute ihre Informationen aktualisieren. Er muss laut schreien, um das Brüllen des Motors zu übertönen. »Wenn wir in fünfzehn Kilometern den Ort Campo erreichen, sind es noch gut hundertfünfzig Kilometer bis zur Grenzstation Texhoma.«
»Wie viele Einwohner hat Campo?« Nick kann kaum glauben, dass es in dieser endlosen Grassavanne ein Dorf geben soll.
»Hundertfünfzig«, ruft Leonard.
»Einhundertachtunddreißig«, korrigiert Betty.
»Einhunderteinundvierzig.« Das Navigationssystem des Camaro ist nicht ganz auf dem neuesten Stand.
»Dad!«, schreit Val. »Hinter uns ist so eine Art Helikopter aufgetaucht. Aber ich kann ihn nicht hören. Nur sehen.«
»Das ist eine Sasayaki-Tonbo.« Nick ist stolz auf sein Wissen. Seit einer Stunde muss er sich voll aufs Fahren konzentrieren. Bei einer Geschwindigkeit von zweihundertzehn Stundenkilometern kann schon ein kleines Schlagloch oder ein Hase zu einer Katastrophe führen. »Das ist Flüsterlibelle auf Japanisch.«
»Was soll ich machen?« Val öffnet das Schiebedach, löst den Gurt und steht mit der Panzerfaust auf, die Nick in seiner Waffentasche mitgebracht hat.
»Nur ein Warnschuss vor den Bug.« Nick hat Mühe, sich im Brausen der Luft verständlich zu machen. »Vielleicht sitzt Sato drin. Ich möchte ihn nicht töten.«
»Verstanden.« Val zielt und feuert eine Granate ab.
Wie geplant verfehlt das Geschoss den Helikopter, trifft aber einen der riesigen, komplex gebogenen Rotoren an der Spitze. Das elegante Fluggerät trudelt nach rechts und verschwindet hinter einem grasbewachsenen Hügel.
»Ist sie abgestürzt?«, ruft Nick.
Val zieht die Panzerfaust nach innen, schließt das Schiebedach und schnallt sich wieder an. Mit zweihundertzwanzig Sachen rasen sie auf Campo zu.
»Alles in Ordnung.« Leonard beugt sich nach vorn. »Ist mit Autorotation nach unten getaucht und bloß ein wenig hart in einer großen Staubwolke gelandet. Niemand wurde verletzt.«
Val klatscht seinen Vater ab, der die Hand schnell wieder aufs Lenkrad legt.
»Vor dem Rathaus in Boise City rechts abbiegen auf die Hauptstraße und den Highway mit der Bezeichnung 412-287-64-3-56. « Leonard schiebt den Kopf nach vorn zwischen Vater und Sohn.
Val lacht. »Warum hat denn der Highway so viele Zahlen?«
»Was ihnen an echten Straßen fehlt, machen sie durch komplizierte Zahlen wett.« Überrascht stellt Nick fest, dass die beiden anderen in Lachen ausbrechen.
Dann sind sie in Texhoma, neunhundertneun Einwohner laut Leonard, achthundertsechsundneunzig laut Betty, keine ausreichenden Daten laut dem Navi des Camaro. Fünfhundertzweiundachtzig Kilometer und weniger als dreieinhalb Stunden Fahrzeit entfernt von Denver.
Schließlich nähern sie sich der Grenzstation zur Republik Texas, und Nick schaltet herunter.
»Mann«, ruft Val, »die sitzen ja auf Pferden.«
An dem Pfosten mit der Flagge, die einen einzigen weißen Stern auf einem dreieckigen blauen Feld zeigt, biegt Nick rechts ab. Die roten und weißen Streifen wirken vertraut. Die
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