Flashback
Texaskavallerie begleitet sie durch die geöffneten Schranken, die die zwei hohen Zäune und das dazwischenliegende Minenfeld unterbrechen.
Erstaunt bemerkt Nick gleich hinter dem offenen Grenzdurchlass ein bekanntes Gebäude. »Ich dachte, Fort Alamo liegt
viel weiter im Süden.« Der mächtige Motor des Camaro schnurrt leise.
»Das ist ein verbreiteter Irrtum.« Leonard beugt sich vor, um Nick die Hand zu schütteln. Als Nick auch Val die Hand hinstreckt, umarmt ihn sein Sohn.
Ächzend und mit Tränen auf den Wangen fuhr Nick aus dem Schlaf hoch.
Flashbacksüchtige träumten nur selten. Jetzt, da die echten Träume wieder zu ihm zurückkehrten, wunderte er sich über ihre Kraft. Wie konnte man so etwas für chemisch herbeigeführte Wiederholungen von Bruchstücken aus der Vergangenheit hergeben? Weshalb hatte er das getan?
Schnell stand er auf, um sich zu duschen und zu rasieren, weil er den Wohnkomplex spätestens bis halb sieben verlassen wollte. Die Rippen unter dem Korsettverband schmerzten heute noch mehr, aber er kümmerte sich nicht darum. Beim Blick in den Spiegel stellte Nick erstaunt fest, dass sich etwas verändert hatte.
In den zwei Wochen, seit er an dem Fall arbeitete, hatte er deutlich abgenommen. Seine Wangenknochen traten stärker hervor, seine Gesichtszüge waren hagerer, aber das war nicht das Entscheidende. Die Augen. Die Augen waren klarer. Fünfeinhalb Jahre lang hatte er sich und alles andere mit dem Höhlenblick eines Menschen angestarrt, der nichts in der Welt so dringend brauchte wie Flashback oder noch groggy war von einer langen Nacht mit der Droge. Jetzt waren die Augen anders.
Können sie so bleiben? Mit einem Schauer zog sich Nick fertig an.
Beim Waffencheck ließ er sich die Glock im Hüfthalfter und eine kleine Taschenpistole Kaliber .32 im selten getragenen Knöchelhalfter aushändigen. In all den Jahren als Streifenpolizist und Detective hatte die .32 mit weggefeilten Nummern und umklebtem Griff K. T. Lincoln gehört, aber sie hatte sie genauso wenig
benutzt wie er später. Halbwegs treffgenau war die Waffe mit dem kurzen Lauf wahrscheinlich sowieso nur bis auf eine Distanz von eineinhalb Metern.
Vor seinem Aufbruch nahm Nick noch schnell Sicherheitschef Gunny G. beiseite und zeigte ihm Fotos von Val und Leonard. Er bot dem Exmarine fünfzig alte Dollar – mehr als ein Viertel von Nicks restlichem Geld, nachdem er den Piloten für den Flug nach Los Angeles bezahlt hatte – und versprach ihm noch mehr, damit sich Gunny um die beiden kümmerte, bis Nick zurückkam. Auch für den Fall, dass er nicht zurückkam.
»Letzte Woche waren FBI und Heimatschutz hier und haben nach dem Jungen gefragt, Nick«, bemerkte Gunny G.
»Das dachte ich mir schon.« Nick reichte dem früheren Marine mit den weißen Narben im Gesicht das kleine Vermögen in bar. »Aber das war nur, weil sie meinen Sohn als wichtigen Zeugen in einer Sache vernehmen wollten, an der er nicht beteiligt war. Außerdem wurden die Ermittlungen inzwischen eingestellt. Du kriegst keine Scherereien, wenn du ihnen hilfst, das schwör ich dir, Gunny. Und es sind noch mal fünfundzwanzig für dich drin, wenn du dich um sie kümmerst, solange ich weg bin, und dafür sorgst, dass sie nicht belästigt werden.«
»Für dich würde ich das sowieso machen, Nick.« Der Wachmann steckte das Geld ein.
Hastig kritzelte Nick eine Notiz hin. Eigentlich hatte er wenig Hoffnung, dass Val und sein Großvater heute auftauchen würden, aber nach dem Traum war er doch etwas optimistischer als sonst. Dann verschwand er durch die Tür zur Parkgarage und setzte sich in seinen asthmatisch vibrierenden Gelding. Nach der kraftvollen V8-Vision fiel es ihm schwer, diesen Voltkübel zu lenken. Die fröhliche Ladeanzeige prognostizierte ihm eine Reichweite von neunundvierzig Kilometern, sofern es zu einem großen Teil bergab ging.
»K. T.!«
Die Polizistin wirbelte herum und hatte die Glock schon fast aus dem Halfter gezogen, ehe sie erstarrte. »Nick Bottom. Was willst du denn schon wieder?«
»Einen schönen guten Morgen, Lieutenant Lincoln.«
K. T. lebte am Capitol Hill in einem der großen Häuser aus dem neunzehnten Jahrhundert dieses einst prestigeträchtigen Viertels, die vor rund dreißig Jahren in ein Dutzend oder mehr Mietwaben aufgeteilt worden waren. Seit sechs Jahrzehnten war die Kriminalitätsrate in der Gegend hoch, was bedeutete, dass sie auch für Polizisten erschwinglich war. Diejenigen Bewohner von K. T.s Haus, die
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