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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Vater.«
    »Ja, der Vater. Val sagt, dass er seinen Vater hasst – wenn er überhaupt etwas über ihn sagt. Trotzdem wäre es bestimmt das Beste. Es wäre ja sowieso nur für knapp ein Jahr, dann muss Val zur Army. Hier in der Stadt wird es zu gefährlich für den Jungen.«
    Emilio machte ein bedrücktes Gesicht. »Auch für dich kann es bald zu gefährlich werden, mein Freund. Ihr solltet beide verschwinden. Schon bald. Sehr bald.«
    Leonard erwachte aus seiner Versunkenheit, alle Schachgedanken waren in weite Ferne gerückt. »Was erzählst du mir da, Emilio? Weißt du irgendwas?«
    Seufzend nahm der Ältere seinen am Tisch lehnenden Stock mit Elfenbeingriff zur Hand und stützte sich schwer darauf. »Die Kräfte von Raza und Reconquista sind rastlos. Schon in Kürze kann es zu dem Versuch kommen, die Macht in ganz Los Angeles zu ergreifen.«
    Leonard lachte aus schierer Verblüffung. Sie redeten nur selten über Politik. »Die Macht ergreifen?« Er hatte unwillkürlich die Stimme erhoben. »Haben die Latinos nicht sowieso schon überall
in L. A. das Sagen – ein paar Viertel ausgenommen? Ist es nicht bereits Gesetz, dass der Bürgermeister Latino sein muss?«
    »Sicher. Aber das ist keine wahre Reconquista, Leonard. Los Angeles ist noch keine Provinz von Nuevo Mexico. Und das wird sich ändern.«
    Leonard starrte ihn mit großen Augen an. »Das bedeutet Bürgerkrieg auf den Straßen.«
    »Ja.«
    »Wie … wie viel Zeit haben wir noch?«
    Emilio lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Stock, seine Miene wurde noch betrübter. Leonard fühlte sich an Cervantes und seinen Ritter von der traurigen Gestalt erinnert.
    »Wenn es euch möglich ist, solltet ihr – du und dein Enkel – sehr bald aufbrechen.« Emilio nahm einen wunderschönen Füllfederhalter aus der Tasche und schrieb etwas in Spanisch auf eine Visitenkarte, die er Leonard reichte. Auf der Karte standen nur Emilios Name und eine Adresse drei Kilometer östlich vom Echo Park – er hatte Emilio nie gefragt, wo er wohnte. Die handschriftliche Notiz war eine Aufforderung, den Träger der Karte als Freund passieren zu lassen und ihn zu der genannten Adresse zu geleiten. Die Unterschrift lautete Emilio Gabriel Fernández y Figueroa.
    »Aber wie?« Leonard faltete die Karte sorgfältig und steckte sie in seine Brieftasche. »Wie?«
    »Es gibt Konvois. Erstens die Sattelschlepper, die manchmal zahlende Passagiere mitnehmen, zweitens Gruppen von Fahrzeugen, die sich zusammenschließen.«
    »Ich habe kein Auto.« Leonard spürte einen Schwindel, wie er es sich immer vor einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt vorgestellt hatte. Auf einmal war die Hitze der Septembersonne kaum mehr zu ertragen.
    »Ich weiß.«
    »Die Kontrollpunkte und Straßensperren …«

    »Komm zu dieser Adresse, wenn du sicher bist, dass ihr beide von hier weggeht. Es lässt sich bestimmt etwas einrichten.«
    Leonard legte die Hände flach auf den Betonschachtisch und starrte auf die Leberflecken, die erhobenen Adern, die arthritisch geschwollenen Gelenke. Waren das wirklich seine Hände?
    »Erinnerst du dich, wie sich der römische Legionär Flaminius Rufus über die Stadt der Unsterblichen in Borges’ Erzählung Der Unsterbliche äußert?«
    »Flaminius Rufus? Ich …, nein. Ich meine ja, an die Geschichte erinnere ich mich, aber …«
    »Borges lässt den Legionär Folgendes sagen: ›Die Stadt ist so schrecklich, dass ihre bloße Existenz die Vergangenheit und Zukunft beschmutzt und in gewisser Hinsicht sogar die Sterne in Gefahr bringt.‹«
    Leoanard starrte seinen alten Schachpartner an. Er hatte keine Ahnung, wovon Emilio redete.
    »So sehen die Krieger der Reconquista die verbliebenen Gringos und Asiaten in Los Angeles, mein Freund. Es wird viel Blut fließen. Schon bald. Und wenn dein Enkel etwas mit der Vergewaltigung von Maria Hernandez zu tun hatte, wird er nicht mal mehr dieses große Blutvergießen in der Stadt Los Angeles erleben. Verschwinde von hier, Leonard. Und nimm deinen Enkel mit.«

1.04
DENVER
    SAMSTAG, 11. SEPTEMBER
     
     
    »Willst du den ganzen Abend da draußen hocken und Bier trinken oder lieber doch ins Bett kommen?«
    Daras Stimme dringt durch die Fliegentür hinaus auf die winzige Veranda, wo Nick durch Lücken zwischen den Zwergulmen hinauf zu dem kleinen Fleck späht, der vom Sommerhimmel zu erkennen ist. Die Nacht ist erfüllt vom Zirpen der Insekten, von den Fernseh-und Stereoklängen aus den umgebenden Häusern und dem gelegentlichen Kreischen

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