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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mit Krocketturnier am Memorial Day. Ein Streifenpolizist namens Jerry Connors projiziert an Samstagabenden alte Kinofilme auf ein Laken an der Garagenwand, und die Hälfte der Beamten, die dienstfrei haben, sitzt in Jerrys Garten, trinkt Bier und genießt die alten Schinken, zu denen Jerry vor der Vorstellung immer eine liebevolle Einführung gibt.
    Jerry hat zu jedem Film die wesentlichen Fragen auf Lager, zum Beispiel: Sind James Mason und sein Spion Nummer eins, Martin Landau, in Der unsichtbare Dritte etwa schwul und aufeinander scharf, weil sie so komisch miteinander reden?
    Nick liebt sein Haus und sein Viertel. Er hofft, dass es eine gute Gegend für seinen Sohn oder seine Tochter zum Aufwachsen ist. (Er und Dara sind wohl fast die einzigen künftigen Eltern in der Stadt, die wiederholt Ultraschall, Gentests und andere Verfahren zur Geschlechtsbestimmung ausgeschlagen haben.)
    »Willst du mir nicht deine Geschichte erzählen?«, wispert Dara.
    Nick braucht eine Weile, um aus seiner Versunkenheit zu erwachen. Wie viel Bier hat er heute Nachmittag und Abend eigentlich schon getrunken?

    Nicht so viel, dass es später deine Leidenschaft behindert hätte, dachte der beobachtende Nick.
    »Welche Geschichte?«, fragt Nick an diesem Freitagabend vor sechzehn Jahren und einem Monat.
    »Die Geschichte von deinem Onkel Wally, der dir in Chicago dieses kleine Teleskop gekauft hat, das du dir so sehr gewünscht hast.«
    Nick wirft Dara einen Blick zu, aber sie lächelt ihn an, ohne sich lustig zu machen, und greift wieder nach seiner Hand. Er nimmt das Bier in die andere Hand.
    »Ja …, so war es auch.« Er stockt. »Ich hab es mir gewünscht, und es war das Kostbarste, was ich je besessen habe.«
    »Ich weiß«, antwortet Dara leise. »Erzähl mir, wie du von dem Hochhaus in Chicago aus versucht hast, die Sterne zu sehen.«
    »Das war kein Hochhaus, Kiddo.« Nick leert sein Bier und schwört sich, an diesem Abend keins mehr zu trinken. »Onkel Wallys Wohnung war in einem ganz normalen Mietshaus in einem Viertel, in dem zuerst Iren, dann Polen und am Schluss fast nur noch Schwarze gelebt haben.«
    »Aber du hast deinen Onkel zwei Wochen lang besucht …«, souffliert Dara.
    Nick grinst. »Ich hab meinen Onkel zwei Wochen lang besucht. Er war Keksverkäufer, ein ehemaliger A&P-Manager, und mein Alter hat mich jeden Sommer zwei Wochen nach Chicago geschickt. Ich war begeistert.«
    »Du hast also deinen Onkel zwei Wochen lang besucht.« Dara lächelt.
    Nick macht eine Faust und klopft ihr leicht aufs Knie. Dann nimmt er wieder ihre Hand. »Ja, die zwei Wochen waren schon fast vorbei und … Am Abend sind wir meistens an der Madison Street spazieren gegangen, ein paar Blocks von seiner kleinen Wohnung im zweiten Stock entfernt, und jedes Mal sind wir an diesem Kamera-
und Elektronikladen vorbeigekommen – in Wirklichkeit war es ein Leihhaus. Ich musste immer stehen bleiben und das kleine Teleskop im Schaufenster bewundern. Kein echtes astronomisches Teleskop, verstehst du, nur so ein kleines Ding, wie es die Schiffskapitäne vor Jahrhunderten hatten, mit diesen kleinen schwarzen Stativbeinen …«
    »Und an deinem letzten Abend in Chicago …«
    »Hey, darf ich es vielleicht selbst erzählen?«
    Sie schmiegt den Kopf an seine Schulter.
    »Es war mein letzter Abend in Chicago – danach hab ich meinen Onkel nie mehr gesehen. Er war der einzige Verwandte außer meinen Eltern, den ich kannte, und er ist zwei Monate nach meiner Rückkehr nach Denver an einem Herzinfarkt gestorben. Jedenfalls, es war mein letzter Abend in Chicago, nachdem Wally und ich abgespült und abgetrocknet hatten – er war nämlich Junggeselle. Ich war im Esszimmer und hab meine Sachen in die kleine Tasche auf der Liege gepackt, wo ich geschlafen habe. Auf einmal hat mich Wally nach draußen gerufen auf den Treppenflur …«
    »Und voilà!« Daras Stimme ist von Glück erfüllt.
    »Voilà. Das Teleskop. Ich konnte es nicht fassen. So was Tolles hatte mir noch nie jemand geschenkt, und es war weder mein Geburtstag noch Weihnachten in Sicht. Also haben wir es auf dem hinteren Außenflur mit dem kleinen Stativ auf einem Stuhl auf einer Mülltonne aufgebaut und versucht, ein paar Sterne oder Planeten zu finden …Ich war ja ganz verrückt auf den Weltraum damals …«
    »Wie alt warst du?« Daras Worte klingen gedämpft an seiner Schulter.
    »Wie alt? Ungefähr acht, glaube ich. Jedenfalls waren wegen der Stadtbeleuchtung fast keine Sterne zu erkennen, nur

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