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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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verschläft dann und redet nicht mit mir. Er ist einfach nicht mehr der Junge von früher.«

    »Vielleicht wird er allmählich zum Mann«, antwortete Emilio leise.
    »Aber so hoffentlich nicht. Er macht wirklich eine schlimme Phase durch. Er ist gereizt und böse – vor allem auf mich. Außerdem glaube ich, dass er häufig Flashback nimmt.«
    »Hast du Ampullen gefunden?«
    »Nein, ich habe nur den starken Verdacht, dass er die Droge mit seinen Freunden konsumiert.«
    Die beiden Alten hatten schon oft über Flashback geredet. Wie hätte es anders sein können? Emilio behauptete, es nie probiert zu haben; echte Erinnerungen waren ihm lieber als das chemische Nachvollziehen von Ereignissen. Außerdem, so sein Argument, konnte man es sich mit über achtzig nicht leisten, so viel Zeit für das »Nacherleben« zu opfern. Leonard hatte eingeräumt, Flashback vor vielen Jahren einige Male versucht zu haben, aber es hatte ihm nicht gefallen. Außerdem gab es keine Menschen, die ihm so wichtig waren, dass er die Zeit mit ihnen unbedingt noch einmal auffrischen musste. »Das ist einer der Vorteile – oder vielleicht auch Nachteile –, wenn man viermal verheiratet war«, lautete sein Fazit.
    Jetzt erwartete Leonard von seinem älteren mexikanischen Freund eigentlich nur eine philosophische, vielleicht tröstende Bemerkung.
    Doch Emilios Worte überraschten ihn. »Gestern wurde ein mexikanisches Mädchen, Maria Hernandez, auf dem Weg zur Schule vergewaltigt. Sie hat einen zweifelhaften Ruf, aber ihr Vater und ihre Brüder und die Reconquistabürgerwehr der Gegend haben geschworen, die Jungen zu töten, die das getan haben.«
    »Die Jungen?« Leonards Stimme hallte hohl in den eigenen Ohren wider.
    »Eine Bande von acht oder neun Anglojungen. Sehr wahrscheinlich eine dieser Flashgangs, von denen wir inzwischen täglich hören. Sie haben es getan, um es immer wieder zu erleben.«

    Leonard leckte sich die Lippen. »Wenn du glaubst, dass Val … Nein, unmöglich. Er mag wütend und aufgewühlt sein, aber … Vergewaltigung? Niemals.«
    Mit traurigen Augen betrachtete Emilio seinen akademischen Kollegen. »Das Mädchen – Maria – hat einen von den Vergewaltigern erkannt. Ein Anglo aus ihrer Schule, der sich Billy the Kid nennt. Ein gewisser William Coyne.«
    Dem emeritierten Professor George Leonard Fox wurde schlagartig übel. Seit Val bei ihm wohnte, hatte er nur wenige Freunde seines Enkels kennengelernt, doch der immer lächelnde, respektvolle, höfliche und irgendwie – das wusste Leonard aus seiner vierzigjährigen Lehrtätigkeit – verschlagene Billy Coyne hatte Val mehrmals besucht.
    »Ich glaube, ich muss Val aus der Stadt schaffen«, erklärte Leonard. Emilio hatte mit einem Bauernzug das zweite Spiel eröffnet, aber Leonard war nicht recht bei der Sache.
    »Sí, das wäre wahrscheinlich eine gute Idee, mein Freund. Hast du Geld für den Flug?«
    Leonard lachte bitter. »Bei einem Preis von über einer Million neuen Bucks für einen Flug von Los Angeles nach Denver? Wohl kaum. «
    »Sein Vater vielleicht? Vor fünf Jahren konnte er die Reise des Jungen hierher zahlen.«
    Leonard schüttelte den Kopf. »Dafür hat Nick fast das ganze Geld von der Lebensversicherung meiner Tochter ausgegeben.«
    »Aber er war doch Polizist … «
    » War. Inzwischen ist er nur noch ein Flashbacksüchtiger. Ich habe Val immer ermuntert, dass er jeden Monat mit ihm telefoniert, aber Val möchte gar nicht mehr mit seinem Vater reden, und Nick ruft nicht zurück, wenn ich ihm eine Nachricht hinterlasse. Ich glaube, er hat ganz vergessen, dass er einen Sohn hat.«
    »Gibt es noch andere Verwandte?«

    Gedankenversunken schüttelte Leonard erneut den Kopf. »Du weißt doch über meine Verhältnisse Bescheid, Emilio. Vier Ehen, aber in all den Jahren nur drei Töchter. Dara ist bei diesem Autounfall in Denver gestorben. Kathryn hat vor zwanzig Jahren einen französischen Muslim geheiratet und ist nach Paris gezogen – sie fristet ihr Dasein als Dhimmi. Unter dem Schleier sozusagen. Ich habe seit fünfzehn Jahren nichts mehr von ihr gehört. Eloise ruft mich dreimal im Jahr aus New Orleans an – immer um Geld zu borgen. Sie und ihr Mann sind beide flashsüchtig. Beide haben keine Arbeit. Die drei Exfrauen, die ich geliebt habe, sind tot. Nur die eine, die mich inzwischen verachtet, lebt und ist reich. Aber sie würde kein Wort mit mir wechseln, und schon gar nicht mit meinem Enkel von einer anderen Frau.«
    »Bleibt also nur der

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