Flashback
hinauf.
Im Gegensatz zu den unteren beiden Geschossen waren die vier Zimmer im zweiten Stock nicht aufgeräumt worden. Alles war wie in der Mordnacht vor sechs Jahren. Bevor sie durch die Tür am Ende der Treppe traten, nahmen Nick und Sato ihre Brillen ab.
Sie kamen in ein Foyer mit einer offenen Tür zu einer kleinen Küche auf der linken Seite. Die Ermittler hatten damals festgestellt, dass die Küche voll funktionsfähig, aber kaum benutzt worden war. Nur im Kühlschrank standen einige Flaschen Bier und Champagner. An der rechten Wand führte eine weitere Hightechtür zur Dachtreppe.
Mit einem Blick registrierte Nick, dass die Küche unverändert war. Das Foyer war noch immer übersät mit den unvermeidlichen Papier- und Plastikverpackungen der Notarztspritzen. Warum die Sanitäter überhaupt versucht hatten, einen offensichtlich Toten wiederzubeleben – abgesehen von der Tatsache, dass der Verstorbene und sein Vater stinkreich waren –, war Nick schleierhaft. Jedenfalls hatten sie es getan, und ein Teil des Abfalls war aus dem Schlafzimmer bis ins Wohnzimmer und ins Foyer gelangt. Die teuren Bodenplatten und der breite Türrahmen zur Doppeltreppe – es gab keinen Aufzug, die gesamte Einrichtung war also über die Stufen hinaufgeschleppt worden – wiesen Sprünge und Schrammen auf, wo die Sanitäter und Gerichtsmediziner mit ihren Bahren herumgefuhrwerkt hatten. Irgendein Schmutzfink hatte auf dem Boden eine Zigarette ausgetreten.
Das Foyer verengte sich zu einem kurzen, mit teuren Kunstwerken geschmückten Korridor. Die breiten Glastüren führten links in die Bibliothek und geradeaus in den Wohnraum und von dort ins Schlafzimmer.
»Wollen Sie sich vor dem Schlafzimmer noch woanders umsehen? «, erkundigte sich Sato.
»Wurde in einem der anderen Räume jemand ermordet?«
»Nein.«
»Dann fangen wir mit dem Schlafzimmer an.«
Sato zog die Schuhe aus und ließ sie im Foyer stehen. Nick sah nicht ein, warum er diesem Beispiel folgen sollte. Schließlich war er Polizist – zumindest gewesen – und kein Gast bei einer blöden Teezeremonie. Außerdem konnte Keigo Nakamura nicht mehr gekränkt sein, wenn ein barbarischer Gaijin in seinen Privaträumen die Schuhe anbehielt. Allerdings rechnete Nick fest damit, Hideki Sato damit zu beleidigen.
Das große Wohnzimmer war genauso übersät mit Notarztmüll wie vor sechs Jahren. Die Doppeltür zum Schlafzimmer stand offen. Der Abfall wies ihnen den Weg.
Mit der Brille in der Hand trat Nick ein.
In dem ausgedehnten Schlafzimmer stank es noch immer nach Blut und Gehirnmasse. Nach so vielen Jahren? Unwahrscheinlich.
Trotzdem war es so.
Statt mit Teppich war der Boden mit rechteckigen Tatamis bedeckt. Im Zuge der Ermittlungen hatte Nick erfahren, dass Japaner die Größe ihrer Räume häufig noch in Einheiten von Ein-auf-zwei-Meter-Matten ausdrückten. Ein Schlaf- oder Teezimmer war oft ein Viereinhalb-Matten-Raum. Für das Zusammentreffen der Matten galten dabei verschiedene Regeln. Sie durften nie ein Gittermuster bilden, daran erinnerte er sich noch. Und es durfte keinen Punkt geben, wo sich die Ecken von drei oder vier Matten berührten. Dieses Schlafzimmer war riesig – ein Dreißig-Matten-Raum vielleicht. Allerdings rochen die Tatamis hier nicht angenehm nach getrocknetem Gras wie die in Mr. Nakamuras Büro.
Die ersten Blutspuren, die ins Auge stachen, waren auf dem großen Bett. Auf den zerknüllten Laken befand sich ein eingetrockneter Spritzer, aber der ungefähr schädelgroße Fleck hatte sich auf das Kissen, das Kopfbrett und die Wand verteilt. Dort war die Prostituierte gestorben. Auf dem Boden prangte eine größere getrocknete
Blutlache, umgeben von Nadelverpackungen, Papier- und Plastikmüll. Sie bedeckte eine Tatami und erstreckte sich auf zwei angrenzende Matten.
Nick warf einen Blick in das geräumige Bad und überprüfte die vier Fenster, bevor er sich neben die besudelte Tatami stellte.
»Könnten Sie bitte zur Seite treten, Bottom-san?« Sato hatte seine Brille aufgesetzt.
Nick streifte seine über und senkte den Blick. Er stand bis zu den Waden in Keigo Nakamuras Lenden. Nick machte einen Schritt nach rechts, musste aber unwillkürlich grinsen. Er hatte es absichtlich getan.
Keigos Leiche war nackt. Die Leiche der jungen Frau auf dem Bett war mit Jeans und einem schwarzen BH bekleidet. Keigos Hals war fast völlig durchgetrennt. Die junge Frau – sie hieß Keli Bracque, wie sich Nick erinnerte – war mit einem gezielten
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