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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Schuss in die Stirn getötet worden. Darauf bedacht, nicht wieder auf Keigo zu steigen, beugte sich Nick vor, um Kelis Verletzung zu betrachten. Äußerlich hatte die .22-Patrone nur ein kleines, sauberes Loch mit blauem Rand in ihrer bleichen Stirn hinterlassen, aber im Schädel hatte sie den üblichen verheerenden Schaden angerichtet. Die Zweiundzwanziger war nach wie vor die Waffe der Wahl für professionelle Killer. Mehrere Kollegen von Nick hatten dies als Hinweis auf einen Auftragsmord gewertet.
    Nick machte zwei Schritte zurück und sah nach unten. Wenn sie von einem Profi umgelegt wurde, warum dann diese amateurhafte, von rasender Wut geprägte Schweinerei bei Keigo? Eine Botschaft? Bloß an wen? Natürlich an Mr. Nakamura. Oder aber Keigos brutale Beinahenthauptung war nur eine List, um die Ermittler auf eine falsche Spur zu locken.
    Nur wenige Zentimeter von Kelis Kopf entfernt lag auf dem Nachttisch ein rotes Taschenbuch, ein Roman aus dem zwanzigsten Jahrhundert mit dem Titel Shōgun.

    »Diese Bilder sind besser als die Tatortfotos, die ich hatte«, bemerkte Nick. »Wer hat sie gemacht?«
    »Ich. Vor dem Eintreffen der Polizei.«
    »Das wird ja immer besser.« Nick lachte. »Nicht nur, dass Sie den Tatort verlassen haben, Sie haben auch noch Beweise zurückgehalten – die Kameraaufnahmen, diese Fotos, überhaupt Ihre Existenz als Keigos Sicherheitschef. Dafür kommen Sie bestimmt hinter Gitter, Hideki-san.«
    Nick war klar, dass er sich wiederholte, aber es machte ihm Spaß, die Vorwürfe laut auszusprechen.
    Sato blieb genauso ungerührt wie beim ersten Mal.
    »Sind Sie sicher, dass es von hier keine belebten Bilder gibt?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir im zweiten Stock keine Kameras hatten, Bottom-san.«
    »Ach so.« Nicks Stimme triefte vor Sarkasmus. Er ging wieder zum Bett und lief diesmal mitten durch Keigos Kopf. Sato konnte ihn mal mit seiner Wehleidigkeit.
    Nick rieb sich über beide Schläfen, als er das Gesicht der Toten betrachtete und versuchte, sich an ihre Akte zu erinnern. Sie war jung – neunzehn – und blond. Amerikanerin. Und hochgewachsen. Fast dreißig Zentimeter größer als Keigo mit seinen Einsfünfundfünfzig. Irgendwie standen alle japanischen Männer auf große amerikanische Blondinen.
    Aber was für einen Großteil der Speisen galt, die Keigo Nakamura bei seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zu Hause gegessen hatte, traf auch auf Miss Keli Bracque zu: Sie war aus Japan hergebracht worden. Als die verwaiste Tochter von zwei amerikanischen Missionaren war das Mädchen mehr oder weniger vom Unterhaltungs- und Erholungszweig der Nakamura Heavy Industries großgezogen worden. Früher hatten die japanischen Unternehmen ihre Manager zum Sexurlaub nach Bangkok geschickt – allerdings nicht in das Sexviertel Patpong, in das Männer aus anderen
Nationen strömten, sondern in einen strenger überwachten Bezirk, der nur von Japanern besucht wurde. Trotzdem nahm das Aidsproblem so ernste Dimensionen an, dass die großen japanischen Firmen Thailand aufgaben und ihre eigenen Prostituierten ausbildeten. Die Akte über Keli Bracque, die der Nakamurakonzern zuletzt widerstrebend herausgegeben hatte, sprach es nicht direkt aus, aber vieles ließ darauf schließen, dass Keli schon ab einem Alter von zehn Jahren leitende Manager befriedigt hatte.
    Oder auch nicht. Nicks Blick ruhte auf der Toten.
    Vielleicht war sie für den Sohn des Chefs aufgehoben worden. Oder für den Chef und den Sohn.
    »Sie ist halb angezogen, er ist nackt«, konstatierte er.
    »Ja.«
    Nick wartete auf den Spott, den eine derart offensichtliche Bemerkung vonseiten eines geschulten Polizisten verdiente, etwas wie Was du nicht sagst, Sherlock , aber Sato begnügte sich mit der einen leblosen Silbe.
    »Ich will darauf hinaus«, fuhr Nick fort, »dass Keigo und Miss Bracque hier oben längere Zeit allein waren. Neununddreißig Minuten? Vierzig?«
    »Sechsunddreißig Minuten und zwanzig Sekunden, dann hat Mr. Saitoh die Tür aufgebrochen, nachdem Mr. Nakamura sich nicht auf dem Pager gemeldet hat.«
    »Lang genug, um Sex zu haben.« Nick wusste, dass der Ausdruck aufgebrochen nicht ganz richtig war, da die Tür am Treppenende jedem Rammbock standgehalten hätte. Genau für solche Notfälle hatte der Wachmann Saitoh eine nur radiergummigroße, aber äußerst starke Sprengladung mit sich geführt. Doch dieser Punkt spielte keine Rolle.
    Nick rieb sich über die stachligen Wangen. »Nur geht aus beiden

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