Flashback
Autopsien hervor, dass sie keinen Sex hatten, obwohl Keigo sich während der Party erklärtermaßen aus diesem Grund mit ihr
in seine Privatwohnung zurückgezogen hat. Für mich sieht es nicht so aus, als sei Keli noch beim Anziehen gewesen, nachdem sie miteinander geschlafen haben. Außer Bluse und Schuhen hat sie überhaupt nichts ausgezogen.«
»Vielleicht haben sich Mr. Nakamura und die junge Dame unterhalten. «
Nick prustete. »Sind die lebenden Sexspielzeuge von Nakamura Industries berühmt für ihre geistreiche Konversation?«
»Ja«, antwortete Sato. »Wie die Geishas werden alle Nakamuraangestellten in der Unterhaltungsabteilung dazu ausgebildet zu gefallen – durch intelligente Konversation, das Spielen von Musikinstrumenten, die richtige Vorbereitung und Ausführung der Teezeremonie …, ein breites Spektrum von Fähigkeiten jenseits rein körperlicher Erfüllung.«
Nick hörte dem Sicherheitschef kaum zu. Er deutete auf das aufgeschlagene Taschenbuch. »Ich glaube, Miss Bracque hat gerade in ihrem Buch gelesen, als der Mörder eingetreten ist. Sie hatte nur noch Zeit, es mit den Seiten nach unten hinzulegen, dann hat der Angreifer sie erschossen.«
Sato schwieg.
»Wer es auch war, sie war nicht beunruhigt, als er oder sie plötzlich im Zimmer stand.« Für Nick waren das keine neuen Erkenntnisse, er musste nur sein Gedächtnis auffrischen. Es war schon Jahre her, dass er über die Einzelheiten dieses Doppelmords nachgegrübelt hatte. »Man nimmt sich nicht Zeit, ein Buch wegzulegen, wenn auf einmal jemand auftaucht, vor dem man Angst hat.«
»Sie meinen also, Bottom-san, dass Miss Bracque ihren Mörder gekannt hat.«
Nick war so in Gedanken versunken, dass er nicht einmal nickte. Er nahm die Brille ab und trat zu dem Fenster, das dem Bett am nächsten war. Er berührte das Glas, das kein richtiges Glas war. Dicht. Kugelsicher. Nur durch stärkste Sprengladungen zu zerbrechen.
Als Nick vor sechs Jahren die technischen Daten gelesen hatte, hatte er sich eine Szene vorgestellt, in der nach einem massiven Bombenanschlag das ganze Gebäude in Trümmern lag und nur noch die intakten Fenster in der Luft schwebten wie transparente Druidensteine.
Da sie nicht geöffnet werden konnten, wurden die Räume im zweiten Stock ständig durch flüsternde Ventilatoren belüftet. Winzige Ventilatoren. Höchstens ein Ninja in Mausgröße wäre durch die Klimaanlage gekommen und auch dann nur, wenn die vielen Sieb- und Filterschichten nicht gewesen wären. Nick hielt die Hand davor. Er spürte einen Zug, also arbeitete das zentrale System noch.
»Keigo und seine gemietete Freundin haben hier oben also nicht gevögelt«, murmelte Nick vor sich hin. »Vielleicht hat Keigo auf jemanden gewartet.«
»Auf wen?«, fragte Sato mit leiser Stimme.
Nick verzichtete darauf, für einen letzten Blick auf die Opfer noch einmal die Brille aufzusetzen, machte aber einen sorgsamen Bogen um die blutbefleckte Tatami und Keigos unsichtbare Leiche auf dem Boden. »Gehen wir rauf aufs Dach.«
Im Foyer stoppte Nick, um die Treppentür zum Dach in Augenschein zu nehmen. Mit Ausnahme schwarzer Kästchen an beiden oberen Ecken und einem Kartenlesegerät an der Seite sah sie aus wie jede andere Metalltür. Aber Nick wusste, dass das Ding mehr kostete, als er in zehn Jahren verdiente. Sie überprüfte nicht nur Netzhaut und Fingerabdrücke – in wie vielen Filmen nahm der Held oder der Schurke einfach die Hand oder den Augapfel von jemandem mit, um diese simple Sicherheitsschranke zu überlisten? – , sondern witterte nach einer Berührung auch die DNA eines Menschen, errechnete seine Gehirnwellen und führte ungefähr ein Dutzend andere Identifizierungsmaßnahmen durch, die nur bei einer lebenden Person funktionierten. Vor sechs Jahren war diese Technologie ausschließlich auf Keigo Nakamuras Netzhaut,
Fingerabdrücke, DNA, Gehirnwellen und andere Merkmale abgestimmt gewesen.
Jetzt war sie anscheinend auf Hideki Sato ausgerichtet. Zumindest öffnete sich die schwere Tür mit einem Klicken, nachdem Sato über ein schwarzes Kästchen gescharrt, sich mehrfach vorgebeugt und irgendwelche magischen Bewegungen vollführt hatte. Bei der Tür am oberen Ende der Treppe machte er es genauso.
Nick stellte die gleiche Frage wie vor sechs Jahren. »Wie kommen Dienstmädchen und Hausmeister in die Wohnung und wieder raus?«
Damals hatte er keine Antwort erhalten, und auch Sato blieb jetzt stumm.
1.06
WAZEE STREET , DENVER
SAMSTAG, 11.
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