Flashback
Teilen Der Feuersturm , Der Krieg und Weltsturm bestehende Trilogie, in den siebziger Jahren gelesen und es wie alle anderen Studenten und Dozenten als mittelmäßigen historischen Kitsch abgetan: als unbeholfenen Versuch, anhand verstreuter Mitglieder einer amerikanischen Marinefamilie die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zu erzählen – unter anderem mit der jüdischen Frau des Sohnes, die mit ihrem intellektuellen Onkel und ihrem kleinen Kind in Auschwitz endete. »Bei Wouk war der Magen größer als die Augen« hatte er bei einem Seminar in Yale geistreich angemerkt, als Wouks Bücher in einer Diskussion gestreift worden waren.
Doch jetzt war Leonard klar, dass der inzwischen praktisch unbekannte Wouk etwas über die Welt gewusst hatte. Seine Bücher waren voller genau beobachteter Details, ob es nun um die schwerfälligen Maschinen eines Unterseeboots aus den vierziger Jahren ging oder die weitaus effizientere Maschinerie des Holocaust. Und Wouk hatte diese vergessenen Meisterwerke geschrieben, als ob die Rettung seiner Seele davon abhinge.
Dagegen hatten Leonards verschiedene Romanentwürfe nur die Verwirrung seiner passiven Figuren darüber aufgezeichnet, dass sich die Welt um sie herum zum Schlechteren veränderte.
Leonard warf die Manuskriptstapel in eine große Kiste und verschloss sie.
Wann war ihm eigentlich aufgefallen, dass die Entwicklung in den USA in die falsche Richtung ging … ? Nicht in jene falsche Richtung von Tausenden Intellektuellen, die sich Marx, Marcuse, Gramsci und Alinsky auf die Fahnen schrieben, sondern wirklich den Bach runter .
Kürzlich hatte er sich ohne besonderen Anlass an die frühen Tage der Obama-Administration erinnert. Damals war Leonard mit seiner letzten Frau Nubia verheiratet gewesen, sicherlich die schwierigste seiner vier Ehen. Obwohl sie damals in Colorado lebten – Leonard lehrte an der Universität in Boulder, und Nubia leitete den Fachbereich African-American Women’s Studies in Denver –, bestand sie darauf, am Tagvon Obamas Wahl 2008 in ihre Heimatstadt Chicago zu reisen. Siegessicher hatte sie den Flug schon im August gebucht, am Tag nach Obamas Nominierung beim Parteitag der Demokraten in Denver. Sie selbst hatte als Delegierte an diesem Parteitag teilgenommen.
Sie wohnten im Haus von Nubias Mutter. Ihre drei Brüder und zwei Schwestern und sämtliche Ehepartner und Kinder verfolgten das Geschehen im Fernsehen, und noch bevor Obama die magische Zahl von Delegiertenstimmen erreicht hatte, strömten sie zur endgültigen Bekanntgabe und Feier hinüber in den Grant Park.
Leonard erinnerte sich noch an den Jubel und die Tränen in Nubias – und auch seinen – Augen. Leonard war zehn Jahre alt gewesen, als die Polizei unweit von Obamas späterem Triumph brutal gegen Demonstranten vorging. Die Nacht, in der auf riesigen Leinwänden verkündet wurde, dass Obama die entscheidende Stimmenzahl auf sich vereint hatte, erschien wie eine Verbindung von Vergangenheit und Zukunft für Chicago und Amerika.
Vorher war alles dunkel gewesen, doch zusammen hatten sie den Weg ins Gelobte Land gefunden.
Dieses Gefühl war bei Leonard in den nächsten Jahren schneller verblasst als bei Nubia, was auch einer der Gründe dafür war, dass ihre Ehe frühzeitig endete.
Nicht etwa dass Leonard, ein Intellektueller und stolzer Meinungsführer seines Fachbereichs, Anfang fünfzig und kerngesund, sich plötzlich in einen heimlichen Repubklikaner verwandelt hätte. Nein, in all den turbulenten Jahren des dramatischen Umbruchs
hatte Leonard an seinen Überzeugungen festgehalten, hatte weiter an die Hoffnung, den Wandel und die Aufgabe der Bundesregierung geglaubt, alles von Klimapolitik über die Gesundheitsversorgung bis hin zu tausend anderen Facetten des Alltags regeln zu müssen.
Doch als im Verlauf der nächsten zwei Jahrzehnte die Rezession nach der scheinbaren wirtschaftlichen Erholung in etwas viel Schlimmeres und offenbar Permanentes abglitt, als die Auslandskriege der USA mit Niederlagen und Rückzug endeten und als die Regierung sich mit ihren Sozialprogrammen verkalkulierte und pleiteging – da erwachten in Leonard die Zweifel.
Zweifel, ob die Entscheidung für ein ständig wachsendes Staatsdefizit mitten in der weltweiten Rezession wirklich so klug gewesen war.
Zweifel, ob Amerika dem zunehmenden Erfolg des radikalen Islam auf der ganzen Welt nicht mehr hätte entgegensetzen müssen.
Zweifel, ob es nicht ein Fehler war, dass die Vereinigten
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