Flashback
–, und Leonard fand es zu spät, ihm von der Polizei einen Suchchip einpflanzen zu lassen.
Am Montag war Leonard mit verschiedenen Erledigungen beschäftigt, die ihn unendlich viel Zeit kosteten. Zum Beispiel besorgte er haltbare Lebensmittel, die sie mitnehmen konnten, falls sie sich wirklich dazu entschlossen, die Stadt am Wochenende zu verlassen. Bei der Fahrradtour durch sein Viertel und Chinatown machte er wieder einmal die Erfahrung, wie schwierig es war, in dieser schönen neuen Welt auch nur die kleinsten Vorhaben zu verwirklichen.
Flashback war natürlich der Hauptschuldige. Leonard beging den Fehler, seine Bank aufzusuchen, um ohne Beteiligung eines Automaten Geld abzuheben, aber natürlich war kein Mensch am Schalter. Im Fernsehen warb seine Bank vor allem mit dem Argument, dass an den vier halben Geschäftstagen immer mindestens zwei Angestellte anwesend waren. Doch am Montag – einem dieser vier Geschäftstage – gab es immer viele flashbackbedingte Krankmeldungen. Im Grunde war es vermessen, am Montag mit einem menschlichen Angestellten Bankgeschäfte erledigen zu wollen.
Auch der Einkauf im Supermarkt wurde zur Qual. Leonard musste fast fünfzehn Minuten anstehen, um die verschiedenen CMRI-Portale, Kreditkartenkontrollen und DNA-Erkennungskabinen zu passieren. Drinnen waren die einzigen Nichtkunden die Sicherheitskräfte in Panzerkleidung mit ihren schwarz schimmernden Helmen, spiegelnden Visieren und klobigen automatischen Waffen. Leonard hatte so viele Versionen dieser Zukunft in Filmen gesehen, die in seinen mittleren Jahren populär waren, dass das tatsächliche Eintreffen dieser Ära ihn eigentlich nicht mehr hätte erschüttern dürfen. Doch selbst nach zwei Jahrzehnten schlug ihm die martialische Sicherheitspräsenz noch auf den Magen.
Als Leonard in der Gemüseabteilung aufgrund von Stromausfällen und Nachlässigkeit nur verfaulte Waren vorfand, blieb ihm nur die Möglichkeit, eine landesweite Automatennummer anzurufen, da keine Verkäufer da waren. Irgendwo in diesem hallenden, hässlich beleuchteten, mit schwarzen, blasenförmigen Überwachungskameras übersäten Gebäude trieb sich bestimmt ein lebendiger Geschäftsführer herum. Aber der wollte natürlich nichts mit seinen Kunden zu tun haben. Und Leonard hatte ernste Zweifel, dass diese Ladenkette in Los Angeles noch jemandem mit dem Namen Ralph gehörte.
Nachdem er schließlich alles erledigt hatte, musste er auf der Heimfahrt einen Umweg von vielen Blocks machen, weil ständig
der Terroranschlagmelder seines Telefons piepte. In Chinatown hatten sich tibetische Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt; in der Nähe des Echo Park hatten kalifornische Separatisten der Aryan Brotherhood die Polizei der Stadt und eine Spezialeinheit des Heimatschutzes in einen schweren Schusswechsel verwickelt.
In dieser Nacht kehrte Val erst kurz vor drei Uhr heim.
DIENSTAG
Den größten Teil des Tages saß Leonard in seinem Büro und blätterte lustlos in verschiedenen ausgedruckten Entwürfen seines gescheiterten Romans. Gelegentlich trug er eine Notiz in sein Tagebuch ein, die sich meist um die Frage drehte, wie ein emeritierter Literaturprofessor so schlecht schreiben konnte.
Sein Ziel war gewesen, wie er Emilio und nur wenigen anderen anvertraut hatte, das erste Drittel des neuen Jahrhunderts darzustellen. Doch beim willkürlichen Lesen von Seiten und Kapiteln seines aufgegebenen Werks musste er einsehen, dass er im Grunde nur sein eigenes Unwissen unter Beweis gestellt hatte. Seine Figuren waren ausnahmslos Opfer der gesellschaftlichen Kräfte, die Amerika und die Welt in den letzten fünfundzwanzig Jahren so stark verändert hatten, und in ihren Handlungen – die sich in der Regel auf Gespräche beschränkten – spiegelte sich lediglich wider, wie wenig sie von diesen Kräften begriffen hatten und wie ohnmächtig sie dem Wandel gegenüberstanden. Anders ausgedrückt, die Wahrnehmungen seiner Figuren waren genau wie bei Professor George Leonard Fox selbst getrübt und gedämpft durch die Illusionen und Annehmlichkeiten einer langjährigen Universitätskarriere.
Leonard ließ die Blätter sinken und musste lächeln. Wie er Emilio erzählt hatte, hatte er sich um eine gottgleiche Weltschau wie
die Leo Tolstois bemüht und war gescheitert. Letztlich wäre er froh gewesen, wenn ihm die authentische Darstellung eines kleineren Ausschnitts gelungen wäre wie zum Beispiel dem Autor Herman Wouk.
Leonard hatte Wouks Hauptwerk, die aus den
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