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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Regierung konnte uns nicht einfach so mit unseren Familien in Amerika leben lassen. Vergessen Sie nicht, es waren über dreihunderttausend israelische Überlebende, die hierhergekommen sind. Und bei inzwischen dreiundzwanzig Jahren Rezession und Arbeitslosigkeit … «
    »Trotzdem … «
    Die Stimme des Dichters wurde plötzlich scharf. »Die Vereinigten Staaten hatten und haben Angst, das Weltkalifat zu verärgern, Mr. Bottom. Das Kalifat will uns ausrotten, und die lächerliche Pseudoregierung Ihres Landes hat Angst. So sieht es aus.«
    Nick blinzelte wie nach einer Ohrfeige.
    »Sie sind einer von denen, die so tun, als gäbe es kein Kalifat und kein geteiltes Europa, nicht wahr?«, fauchte Danny Oz. »Einer von denen, die ignorieren, dass der Islam die am schnellsten wachsende Religion in den Vereinigten Reststaaten ist.«
    »Ich ignoriere überhaupt nichts«, erwiderte Nick steif. In Wirklichkeit kümmerte er sich nicht um das Kalifat und ausländische Probleme. Sicher, eine Halbschwester Daras lebte als Dhimmi in Frankreich oder in einem anderen geteilten europäischen Land, wo das Gesetz der Scharia galt. Aber was ging ihn das an? Dara hatte die Frau nie kennengelernt.
    Wieder spielte ein Lächeln um Oz’ Mundwinkel. »Interessant, dass sie wieder sechs Millionen von uns umgebracht haben, finden Sie nicht, Mr. Bottom?«
    Nick starrte den Mann an.
    »Fast wie eine magische Zahl, oder? Zum Zeitpunkt des Angriffs hatte Israel ungefähr achteinviertel Millionen Einwohner, aber über zwei Millionen davon waren israelische Araber oder nicht jüdische Einwanderer. Von diesen Arabern sind ungefähr eine Million umgekommen, aber er waren sechs Millionen Juden, die entweder durch die Bomben, durch die anschließende Strahlung oder durch die einmarschierende arabische Armee gestorben sind. In Tel Aviv-Jaffa vierhunderttausend eingeäscherte Juden. In Haifa dreihunderttausend. Zweihundertfünfzigtausend in Rischon LeZion. Und so weiter. Jerusalem wurde natürlich nicht bombardiert, da die Stadt ja überhaupt der Grund für die Nuklear- und Militärschläge war. Die sechshunderttausend Juden dort wurden von der Invasionsarmee gefangen genommen und danach einfach nicht mehr gesehen – allerdings gibt es Berichte über eine tiefe, mit Leichen gefüllte Schlucht im Sinai. Ich werde nie verstehen, warum die Samsonoption nicht ausgeübt wurde.«
    »Was ist das?«
    »Ich war politisch links, Mr. Bottom. In meinem Erwachsenenleben habe ich oft gegen die Politik des Staates Israel demonstriert, bin für den Frieden marschiert, habe Manifeste unterzeichnet und versucht, mich mit den armen, unterdrückten Palästinensern zu identifizieren. In Gaza sind übrigens achtzig Prozent der Einwohner
durch den Fallout der Bombe umgekommen, die in Be’er Sheva ›nur‹ zweihunderttausend Juden ausgelöscht hat. Aber ich frage mich jeden Tag, was aus der Samsonoption wurde, von der ich mein ganzes Leben gehört hatte – die angebliche Absicht der israelischen Regierung , bei einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen oder einer drohenden Invasion die Hauptstädte aller arabischen und islamischen Länder in Reichweite mit Atomschlägen zu zerstören. Und Israels Reichweite in dieser Zeit war größer, als man meinen würde. Vor vielen, vielen Jahren, nach dem geheimen Bau der ersten israelischen Atombomben, hat ein General namens Mosche Dajan gesagt: ›Israel muss sein wie ein tollwütiger Hund, zu gefährlich, um sich mit ihm anzulegen.‹ Aber letztlich waren wir es nicht. Überhaupt nicht.«
    »Nein.« Nick erhob sich, um zu gehen.
    »Ich bringe Sie zur Schranke.« Danny Oz setzte sich in Bewegung.
    Vor dem Zelt bemerkten sie Gewitterwolken, die sich über die Berge geschoben hatten. Über ihnen ragte das verrostete Stahlskelett des Tower of Doom auf. Ein Wasserfahrgeschäft mit dem Namen Disaster Canyon war schon fast ganz abmontiert und von Baumaterial verdrängt worden. Aus irgendeinem Zelt oder Schuppen drang erneut das jüdisch klingende Psalmodieren oder Wehklagen.
    Unweit der Schranke sagte Danny Oz: »Bitte bestellen Sie Ihrer Frau Dara Grüße, Mr. Bottom.«
    Nick wirbelte herum. »Was?«
    »Oh, habe ich das nicht erwähnt. Ich habe sie vor sechs Jahren kennengelernt. Eine bezaubernde Person. Bitte grüßen Sie sie ganz herzlich von mir.«
    Innerhalb von Sekundenbruchteilen lag die Glock in Nicks Hand, die Mündung an Danny Oz’ Schläfe gepresst. Heftig drückte er dem gebrechlichen Dichter den Unterarm auf die Kehle

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