Flashback
verstecken. »Uns war natürlich klar, dass Iran und Syrien Atombomben haben, aber bestimmt hatten weder Mossad noch die politische Führung eine Ahnung, dass das im Entstehen begriffene Kalifat bereits über primitive thermonukleare Teller-Ulam-Gefechtsköpfe verfügt. Zu klobig für Raketen oder Flugzeuge. Wie wir inzwischen wissen, brauchten sie die allerdings auch gar nicht.« Als hätte er Nicks wachsende Ungeduld gespürt, fuhr Oz rasch fort. »Doch die Explosionen an sich sind unglaublich schön. Flammen natürlich und die bekannte Pilzwolke, aber auch ein unfassbares Spektrum von Farben und Schichten: Blau, Gold, Violett, Dutzende Grünschattierungen und Weiß, ja, mehrere sich ausdehnende Ringe von Weiß. An diesem Tag bestand kein Zweifel, dass wir die Macht der Schöpfung erleben.«
»Mich wundert, dass Sie nicht alle von einem Erdbeben verschüttet wurden.«
Lächelnd inhalierte Oz Rauch. »Oh, wir wurden verschüttet. Und wie. Wir haben neun Tage gebraucht, um uns aus den eingestürzten Zisternen freizuschaufeln, und das hat uns bestimmt das Leben gerettet. Als wir draußen waren, wurden wir schon nach wenigen Stunden an der Oberfläche von einem US-Militärhubschrauber entdeckt, der uns hinaus zu einem Flugzeugträger gebracht hat – die Überlebenden zumindest. In meiner Wachzeit ohne Flashback bin ich ausschließlich damit beschäftigt, die Schönheit dieser Explosionen zu erfassen, Mr. Bottom.«
Komplett verrückt , dachte Nick. Na ja, irgendwie auch kein Wunder. »Mit Ihren Gedichten.« Es war keine Frage.
»Nein, Mr. Bottom. Seit dem Tag des Angriffs habe ich kein richtiges Gedicht mehr geschrieben. Ich habe malen gelernt, und
mein Schuppen ist voll mit Bildern, die das von den Archonten und ihrem Demiurgen entfesselte Licht des Pleroma zeigen. Möchten Sie vielleicht einen Blick auf die Bilder werfen?«
Nick schielte auf die Uhr. »Ich hab leider keine Zeit, Mr. Oz. Nur noch ein oder zwei Fragen, dann muss ich los. Sie waren also auf Keigo Nakamuras Party in der Nacht, als er ermordet wurde.«
»Ist das eine Frage, Mr. Bottom?«
»Ja.«
»Das wollten Sie schon vor sechs Jahren von mir wissen, und Sie erinnern sich bestimmt noch an die Antwort. Ja, ich war dort.«
»Haben Sie an diesem Abend mit Keigo Nakamura gesprochen? «
»Auch das haben Sie mich schon gefragt. Nein, ich habe den Filmemacher während der Party nicht gesehen. Er war oben – wo er ermordet wurde –, und ich war die ganze Zeit im Erdgeschoss.«
»Hatten Sie keine … äh … Schwierigkeiten hinzukommen?«
Oz entfachte die nächste Zigarette. »Nein, es war ja nur ein kurzer Weg zu Fuß. Aber das meinen Sie nicht, oder?«
»Nein. Ich meine, Sie leben doch hier im Flüchtlingslager. Sie können sich nicht frei bewegen. Wie war es möglich, dass Sie einfach zu Keigo Nakamuras Party gegangen sind?«
»Ich war eingeladen.« Gierig sog Oz den Rauch ein. »Man lässt uns ein bisschen herumwandern, Mr. Bottom. Das kümmert niemanden. Die jüdischen Flüchtlinge haben doch alle Implantate. Nicht oberflächlich wie bei jugendlichen Delinquenten, sondern tief in den Knochen.«
»Ach.«
Oz schüttelte den Kopf. »Das freigesetzte Gift kann uns nicht umbringen, Mr. Bottom. Aber uns wird so übel, dass wir freiwillig zum Lager zurückkehren, um das Gegenmittel zu bekommen.«
»Ach«, wiederholte Nick. »An dem Abend haben Sie das Fest zusammen mit Delroy Nigger Brown verlassen. Warum?«
Oz’ Hustenanfall war vielleicht ein verunglücktes Lachen. »Delroy hat mich mit Flashback versorgt, Detective. Die Wachen hier verkaufen es uns, aber sie schlagen fünfzig Prozent drauf. Wenn möglich habe ich immer bei Delroy Brown eingekauft. Er lebt in einem alten viktorianischen Haus am Berg gleich westlich der Interstate.«
Nick rieb sich über die Wange und merkte erst jetzt, dass er sich am Morgen nicht rasiert hatte. Die Erklärung des Dichters wirkte einleuchtend, trotzdem war es seltsam, dass Keigo Nakamura in seinen letzten Lebenstagen sowohl Brown als auch Oz interviewt hatte. Es sei denn, Brown hatte Keigo zu Oz geführt. Wahrscheinlich spielte es keine Rolle.
»Ich habe nie verstanden, warum die US-Regierung nicht zugelassen hat, dass sich die jüdischen Flüchtlinge in die Gesellschaft integrieren.« Nick zögerte. »Ich meine, inzwischen gibt es hier ungefähr fünfundzwanzig Millionen Mexikaner, und die haben bei Weitem nicht den Bildungsstand von Exisraelis.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Mr. Bottom. Aber die
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