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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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reglose Reihe riesiger Windturbinen hin. Die aufgegebenen Turbinentürme hatten für Nick Ähnlichkeit mit einem ver wahrlosten, unbemalten Lattenzaun, dessen einzelne verrostete Latten hundertdreißig Meter hoch in den Himmel von Colorado ragten. Mit einem Lattenzaun oder vielleicht mit einem Käfig.
    Als er aufwuchs, hatte Nick den Anblick dieser schneebedeckten Gipfel geliebt, doch in den vergangenen Jahrzehnten hatte er sich angewöhnt, nicht mehr nach Westen zu schauen. Ein Wissenschaftler hatte geschätzt, dass die »grüne« Ausgestaltung des nationalen Stromnetzes mit Windkraftanlagen pro Jahr über vier Milliarden Zugvögeln das Leben gekostet hatte. Nick stellte sich am Fuß dieser verrostenden Turbinen immer gewaltige Haufen von Vogelkadavern vor.
    Die Windmühlen hatten nie genug Energie erzeugt, um die Kosten für ihre Instandhaltung zu decken. Die über Schneefelder und Felsen gespannten Stromkabel erinnerten Nick an die Krampfadern eines sterbenden alten Mannes. Als die frühere EU ihre unrentablen Windparks einstellte, pumpten die USA unter ihrer visionären neuen Regierung ihr letztes Geld in »grüne« Technologien. Die Volksrepublik Boulder bezog ihren Strom inzwischen aus
einem der standardisierten gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren in der Prärie von Wyoming, doch offiziell beharrte die Stadtrepublik weiterhin darauf, nur »grüne« Energie zu verwenden.
    Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre Nick an diesem Nachmittag nicht zu seiner Verabredung mit Derek Dean in die Volksrepublik gefahren. Wenn er es sich hätte aussuchen können, wäre er in seine Wabe im Cherry-Creek-Wohnkomplex zurückgekehrt, um stundenlang auf Gespräche mit Dara aus der Zeit der ersten Vernehmung von Oz vor sechs Jahren zu flashen. Vielleicht war ihm damals etwas entgangen, das erklären konnte …
    Doch er hatte keine Wahl.
    Sato saß am Steuer und beharrte darauf, den Termin einzuhalten. Mehr noch, Sato hatte Nicks nächste Ladung Flashback auf der Rückbank deponiert und wollte sie ihm erst nach dieser blöden, völlig überflüssigen Vernehmung überlassen.
    Also hockte Nick in dumpfem Schweigen auf dem Beifahrersitz, völlig benommen von Danny Oz’ Enthüllungen über Dara, und starrte auf die näher rückenden weißen Käfigstangen der einst so stolzen kontinentalen Wasserscheide.
    Die Autoschlange an der Zollabfertigung für Reisende, die auf dem Highway 36 zur Volksrepublik wollten, ließ eine Wartezeit von mindestens fünfundvierzig Minuten befürchten.
    »Haben Sie Ihren Papierpass dabei, Bottom-san?«
    Nick nickte.
    Sato lenkte den gepanzerten Honda auf die Diplomatenspur ganz links und zeigte zwei schwarze NICC-Karten sowie die von der Volksrepublik immer noch vorgeschriebenen Papierpässe vor. Nach einer halben Minute hatten sie die restlichen Schranken passiert.
     
    Keinen Bewohner Colorados ließ die Volksrepublik Boulder kalt. Entweder war es reine Liebe, Hassliebe oder der pure Hass. Schon
Nicks Vater hatte eine entschiedene Meinung zu dem Ort vertreten.
    Nach den Erklärungen seines Dads war die Stadt Boulder in den sechziger Jahren eines der nationalen Zentren für Drogen, Sex, Sport und totale Ablehnung jeder Autorität gewesen – vorausgesetzt die Eltern zahlten pünktlich die Studiengebühren. Die dort zusammengeströmten Flüchtigen aus dem Sommer der Liebe wurden erwachsen, wurden alt – mit ergrauenden Pferdeschwänzen – und machten Gesetze.
    Zwei Jahrzehnte vor Nicks Geburt verabschiedete der Stadtrat drakonische Direktiven, um das Wachstum des Orts zu bremsen. Dies führte sofort zu einer Verdoppelung, dann zu einer Verdreifachung und Vervierfachung der Immobilienpreise mit der Folge, dass die Mittelschicht aus der Stadt vertrieben wurde. Innerhalb von fünfzehn Jahren, so der State Trooper Bottom, wurde Boulder zu einer gemütlichen Mischung aus zotteligen Sprösslingen reicher Eltern und lausverseuchten Pennern.
    In den Achzigern tagte der Stadtrat erneut und fasste mit Unterstützung der Reagan- und waffenfeindlichen Bevölkerung einen Beschluss, der Boulder zur »atomfreien« Zone erklärte. Dies hatte weitreichende Folgen, wie Nicks Vater berichtete: In den folgenden Jahrzehnten legte in Boulder kein einziger atombetriebener Flugzeugträger an.
    In den Neunzigern, noch ehe Nick Bottom seine ersten wackligen Schritte machte, wurde die Untersuchung des Mordes an der fünfjährigen JonBenét Ramsey in ihrem Elternhaus am Weihnachtstag von Polizei, Bezirksstaatsanwalt und anderen

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