Flashback
Behörden derart versiebt, dass fast jeder Offizielle, der mit dem Fall in Berührung kam, seinen Job verlor. Nicks Vater zeigte sich fasziniert von der erschreckenden Unfähigkeit, die bei diesen Ermittlungen an den Tag gelegt wurde. Als der Fall mehr als fünfundzwanzig Jahre später zufällig von einem Privatdetektiv gelöst wurde – nach dem
Tod fast aller Beteiligten, Verwandten und Verdächtigen –, lag die Lösung des Rätsels so klar auf der Hand, wie sie es schon nach der Entdeckung der Leiche hätte sein müssen.
Nick tat es leid, dass sein Vater die Klärung des Falls nicht mehr erlebt hatte. Er hätte sich bestimmt über die Ironie des Schicksals gefreut.
Bis ins einundzwanzigste Jahrhundert scheute sich der Stadtrat von Boulder nicht, Stellung zu Fragen zu beziehen, die nichts mit einer Stadt mittlerer Größe zu tun hatten: Man unterstützte die marxistischen Rebellen in Nicaragua, sprach sich gegen die Kriege im Irak, in Afghanistan und anderswo aus, lehnte bundesstaatliche Gesetze gegen den Genuss von Marihuana und anderen Drogen ab, bot illegalen mexikanischen Einwanderern politisches Asyl (allerdings gab es in der Stadt keinen Wohnraum für schlecht bezahlte Einwanderer, die nach der öffentlichkeitswirksamen Asylgewährung stets aus der Stadt abgeschoben wurden) und verkündete schließlich, dass die Stadt Boulder nicht mit einem republikanischen Präsidenten der USA »kollaborieren« wollte.
Natürlich war Nick klar, dass die Ansichten seines Vaters über Boulder – noch bevor es sich kurz nach Texas zur unabhängigen Republik erklärte – nicht ganz fair waren. Neben den ergrauten Hippies (die inzwischen ohnehin fast alle tot waren) hatte die Stadt auch ein blühendes Wissenschaftszentrum geboten. Die University of Colorado at Boulder verfügte über einen ausgezeichneten Fachbereich Naturwissenschaften und war eine der wenigen Universitäten der Welt, wo Studenten Satelliten steuern konnten. (Damit war Schluss, als Amerika in der Raumfahrt- und Satellitentechnik von Japanern, Russen, Chinesen, Indern, Saudis, dem Neuen Kalifat und Brasilianern überflügelt wurde.) Als einziges Haus in der grünen Zone war unweit der Flatirons ein schöner, moderner Glas-und Sandsteinbau nach Entwürfen von I. M. Pei errichtet worden, um dem National Center for Atmospheric Research, dem Nationalen
Zentrum für Klimaforschung, ein Heim zu geben. Später wurde das Budget des NCAR aufgrund der anhaltenden Krise um fünfundachtzig Prozent gekürzt, und die Einrichtung musste in ein viel bescheideneres Quartier in Omaha, Nebraska, umziehen.
Auch das National Bureau of Standards, das Nationale Eichamt, hatte sich in Boulder befunden und jahrzehntelang international angesehene Wissenschaftler in die Stadt gelockt. Sowohl das NCAR-Gebäude als auch der Komplex des Bureau of Standards waren inzwischen an das Naropa Institute und die Rinpocheschule für körperlose transpersonale Weisheit vermietet.
Das Beste hat der Alte verpasst , schoss es Nick durch den Kopf, als sie sich der Stadt am Fuß der Berge näherten. Denn erst nach dem Tag, als alles den Bach runterging, war Boulder ganz groß herausgekommen.
Um den höchsten Kamm fünf Kilometer südöstlich von Boulder zogen sich von bewaffneten Patrouillen bewachte Zäune, Minenfelder und Zollschranken. Bei der anschließenden Abfahrt ins Tal trat die Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung deutlich hervor. Die Bäume verfärbten sich bereits, die Ausläufer an den riesigen Sandsteinplatten, die Flatirons hießen, waren dicht mit Kiefern bewachsen. Die hohen Gipfel und die hässlichen Windturbinen verschwanden, als sie tiefer hinuntergelangten. Die Luft war klarer und sauberer als in den letzten hundertfünfzig Jahren.
In Boulder waren keine Automobile und strombetriebenen Fahrzeuge erlaubt. Sogar die Polizei und die Feuerwehr benutzten Fahrräder. Sato wurde auf eine der Tiefgaragen verwiesen, die sich drei Kilometer lang an der Table Mesa Road erstreckten. Parken war teuer, da jeder Stellplatz mit bombensicheren Platten geschützt war, obwohl sie bereits zwei CMRI-Portale passiert hatten. Von der Garage aus konnte man Boulder zu Fuß erreichen, doch da
die Metropole mit ungefähr zweihunderttausend Einwohnern eine Fläche von fünfundsechzig Quadratkilometern einnahm, entschieden sich die meisten Besucher für einen städtischen Segwaytransporter oder – viel billiger – für Fahrrad oder Rikscha.
Sato und Nick nahmen eine breite Rikscha, die von zwei
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