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musste die Frage erst zuordnen.
»Weil keine drauf waren«, kam anschließend die lapidare Antwort.
»Hättet ihr Fingerabdrücke feststellen können, wenn welche darauf gewesen wären?«
»Ja, natürlich. Hm … Du hast recht. Das ist merkwürdig. Moment mal«, Kalle hörte Rascheln im Hintergrund, »nein, das Feuerzeug war geradezu klinisch rein. Wir haben Rückstände von verflüssigtem Heroin auf dem Löffel gefunden. Übrigens keine Speichelreste, die wir eigentlich erwartet hatten.«
»Danke, Max. Noch was: Wäre es möglich, dass Spuren auf dem Feuerzeug verwischt wurden?«
»Ja, schon. Aber in der Regel stellen wir das fest. Reste von Fingerprints oder Abdrücke eines Handschuhs, Faserspuren etc. sind in einem solchen Fall meist nachweisbar.«
In seinem Unterbewusstsein erschien das Bild eines Fixers, der die Flüssigkeit, zumeist der eigene Speichel, auf dem Löffel zum Kochen brachte. Kalle war nun endgültig davon überzeugt, dass Patrick Schönfeld nicht alleine gewesen war in dieser Nacht.
Krieger fiel ihm ein. Die Aussage des Zeugen, das Opfer habe sich mit dem Feuerzeug ein Süppchen gekocht. Handschuhe wurden am Tatort nicht gefunden. Kalle zog die Visitenkarte aus der Hosentasche. Es war lediglich eine Handynummer angegeben. Die freundlich monotone Stimme einer Frau teilte ihm in mehreren Sprachen mit, dass der Teilnehmer nicht zu erreichen sei. Kalle erinnerte sich an das Hotel, in dem Krieger wohnte. Krieger war bereits abgereist. Er wollte es später noch einmal über Handy probieren.
Er rief Joshua an und machte sich auf den Weg zur Staatsanwältin.
22
Bert Maibusch begrüßte ihn leise. In seinem linken Arm befand sich eine Kanüle, die durch einen Schlauch mit einer Flasche über dem Bett verbunden war. Seine Augen wirkten glasig. Die Haut war farblos, Joshua hätte sein Alter auf mindestens siebzig Jahre geschätzt, wenn er es nicht besser gewusst hätte. Der junge Arzt verabschiedete sich mit dem Hinweis, er möge bitte jede Aufregung vermeiden. Joshua zog einen Stuhl an die Bettkante und setzte sich fast in Augenhöhe zu dem Lokführer. Das Telefonat mit Kalle vorhin auf dem Flur festigte seine Vermutung. Sie hatten drei perfide Morde aufzuklären. Die Leiche von Gideon Lambert befand sich bereits im Institut für Rechtsmedizin. Strietzelversprach ihm, diesen Fall vorrangig zu behandeln.
»Das war es wohl«, begann Maibusch ungefragt. Seine Augen wurden feucht, die Worte kamen leise und undeutlich aus seinem Mund. Auf Joshuas Stirn bildeten sich kleine Falten.
»Es war das dritte Mal in meiner Dienstzeit. Ich bin 55 Jahre alt, sie werden mich vorzeitig in den Ruhestand befördern. Sie können mich doch für nichts anderes gebrauchen.«
Maibusch schluckte. Eine kleine Träne rollte behäbig seine rechte Wange hinunter. Joshua kam sich unsagbar hilflos vor. Er gönnte Bert Maibusch eine kurze Pause, bevor er seine Frage formulierte.
»Haben Sie eine zweite Person in der Nähe gesehen?«
Maibusch sah ihn geistesabwesend an. Joshua überlegte, ob der Lokführer seine Frage verstanden hatte. Dieser presste seinen Kopf in das Kissen und starrte die Decke an. Joshua wollte seine Frage wiederholen, als sich die Lippen des Patienten öffneten.
»Ja. Ich sah einen Mann hinter der Brücke verschwinden. Nur für einen winzigen Augenblick. Plötzlich sah ich jemanden auf den Schienen … Ich habe sofort gebremst.«
Joshua nahm die feinen Vibrationen wahr, die Maibuschs Körper wie Wellen durchliefen. Viel Zeit dürfte ihm nicht mehr bleiben. Eilig stellte er die nächste Frage.
»Lag dieser Mann leblos da, war er vielleicht bewusstlos?«
»Nein … Er hob seinen Oberkörper, sah mich an und, und … hat gelächelt.«
Maibusch bekam einen Weinkrampf. Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Joshua sprang von seinem Stuhl, als der Arzt ins Zimmer stürzte, begleitet von einer jungen Frau. Der Mediziner warf Joshua einen wütenden Blick zu, zog gleichzeitig eine Spritze auf. Joshua verstand und verließ das Zimmer. Auf dem Flur kam ihm Serena Wenz entgegen. Die Kommissarin war mit den Ermittlungen des vermeintlichen Selbstmordes betraut worden. Joshua hatte mit ihr telefoniert. Er kannte die gleichaltrige Polizistin bereits aus der Ausbildung. Sie wollten sich bei einer Tasse Kaffee in der Cafeteria über den Fall unterhalten. Als Joshua Anstalten machte, mit seinem Kaffee in den kleinen Raucherraum durchzugehen, verzog sie missmutig ihr Gesicht. Sie setzten sich an einen
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