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Flatline

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Titel: Flatline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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Abend belohnten ihn für die Mühe. In diesem Moment bereute Sänger zum ersten Mal.
    »Von der Entführung weiß doch niemand, außer den Eltern. Ich denke, sie wird Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls.«
    Er klang völlig gelassen. Die Perversität seiner Worte schien ihn nicht zu berühren. Sänger schluckte. Er öffnete einen weiteren Knopf. Sein Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken, mitschuldig zu sein. Er war darauf trainiert, zugunsten des Profits Hunderte Familienväter mit einem tröstenden Lächeln auf die Straße zu setzen. Er war darüber informiert, dass für Medikamentenerprobungen in Schwarzafrika die Gesundheit der Probanden aufs Spiel gesetzt wurde. Es machte ihm nicht viel aus. Er hängte diese Dinge abends mit seinem Anzug weg. Aber diese Kälte legte sich wie ein Ring um sein Herz. Die Angst drängte den Gedanken in sein Bewusstsein, aufzugeben. Ein Wort, das er vor wenigen Minuten nicht einmal buchstabieren konnte. Sänger war stresserprobt, er wusste, dass Panik der denkbar schlechteste Ratgeber war. Drei Menschen waren ermordet worden, mit seinem Wissen. Die besten Anwälte des Landes würden ihn nicht vor dem Gefängnis bewahren können. Diese Reise unternahm er mit einem One-Way-Ticket.
    Eine Möglichkeit gab es noch. Es war äußerst riskant. Das Timing musste exakt stimmen. Sänger drückte eine Taste auf seinem Schreibtisch und orderte einen Kaffee.
    »Sie auch?«
    Orlefson lehnte ab. Zwei Minuten später betrat eine junge Frau das Büro. Mit dem kleinen Tablett in der Hand blieb sie neben Sänger stehen.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Herr Doktor?«
    »Doch, doch.«
    In dem Augenblick, als die junge Frau das Büro verlassen wollte, schrie Sänger unvermittelt los.
    »Hören Sie, ich möchte nicht, dass irgendein Mensch zu Schaden kommt. Haben Sie das verstanden?«
    Die langen, braunen Haare der Frau flogen herum. Entsetzt sah sie Sänger an. Sänger verstummte. Mit einer unwirschen Handbewegung deutete er der Frau an, dass sie gehen sollte. Als die Tür leise ins Schloss gefallen war, sah Orlefson ihn verständnislos an.
    »Was sollte das denn jetzt?«
    »Sie hält Sie für Herrn Plankert, Abteilung Erprobung Ausland. Nach Ihrem letzten Besuch hatte ich den Eindruck, sie ahnt etwas. Ich habe ihr gesagt, Sie seien für die Sicherheit der dortigen Probanden zuständig.«
    Sänger ahnte die Zweifel, die sich hinter der Sonnenbrille in Orlefsons Augen spiegelten.
    »Wir dürfen nichts riskieren. Können Sie das Mädchen nicht eine Weile verstecken, bis Gras über die Sache gewachsen ist?«
    Orlefson grinste hämisch.
    »Mord ist ein schlechter Nährboden für Gras.«
    Als Orlefson gegangen war, überdachte Sänger die Situation. Es könnte klappen, Sänger ballte die Fäuste. Der Gedanke ärgerte ihn. Er hasste nichts mehr als Konjunktive, vor allem bei diesem Einsatz. Zeit für Alternativen gab es nicht mehr, ab sofort griff Plan B. Sänger analysierte die weitere Vorgehensweise. Nach zwei Telefonaten schloss er die Knöpfe seines Hemdes und zog zufrieden den Krawattenknoten hoch.

43
    »Können Sie uns zu diesem Schrebergarten führen, in dem Sie aufgewacht sind?«
    Stachinsky sah ihn verwundert an. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Falten.
    »Sie glauben mir immer noch nicht?«
    »Ehrlich gesagt habe ich Ihnen von Anfang an geglaubt. Wir haben eine Kindesentführung. Der Täter ist vermutlich dieselbe Person, die Sie niedergeschlagen hat.«
    »Sie sind vielleicht ein komischer Typ.«
    Stachinsky deutete ein Grinsen an. Zum ersten Mal bemerkte Joshua den Ansatz von Fröhlichkeit bei ihm. Er nahm Stachinsky zunächst mit ins Büro. Joshua wollte diesen Einsatz genauestens vorbereiten. Er ließ sich den Ort auf der Karte zeigen. Jeweils zwei Reihen von Schrebergärten wurden von einer zweispurigen asphaltierten Straße umschlossen. Zwischen den Reihen verlief ein schmaler Fußweg. Die direkten Nachbargärten und die Straßenfront mit eingerechnet, mussten fünf mögliche Fluchtpunkte besetzt werden. Der Täter würde sich nicht durchgehend bei dem Mädchen aufhalten, so Joshuas Überlegung. Dies barg die Gefahr, dass er den Einsatz unerkannt von außerhalb mitbekam, somit nicht ergriffen werden konnte. Der Einsatz des SEK durfte nach Möglichkeit erst kommen, wenn sichergestellt war, dass sich der Täter nicht in unmittelbarer Nähe der Geisel befand. Aber wie konnten sie das herausfinden? Joshuas Nervosität stieg unaufhaltsam. Die Gartenlaube war wie eine Mausefalle,

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