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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Zehenspitzen die Treppe hinab.
    Unten führte ein Gang zur Vorderseite der Kirche. Er war provisorisch mit einer Reihe kleiner, nackter Glühbirnen beleuchtet, die unter der niedrigen Decke baumelten. Ihr gelblich fahler Schein ließ die Schatten ringsum noch dunkler wirken.
    Ich war schon einmal hier unten gewesen, damals, als die Pfadfinderinnen von St. Tankred an einem Winterabend Verstecken gespielt hatten. Das war vor meiner unehrenhaften Entlassung aus der Truppe gewesen und somit lange her. Trotzdem erinnerte ich mich noch lebhaft an Delorna Higginsons Schreikrämpfe. Sie hatte sogar Schaum vor den Mund bekommen und war kaum wieder zu beruhigen gewesen.
    Vor mir im Dunkeln kauerte ein gewaltiger Eisenkoloss – der Heizkessel der Kirche.
    Ich schlich um ihn herum und achtete darauf, ihm möglichst nicht den Rücken zuzudrehen.
    Der Kessel stammte aus der Werkstatt von Deacon and Bromwell und war 1851 bei der Weltausstellung gezeigt worden. Seitdem hockte dieses für seine Unberechenbarkeit berühmt-berüchtigte Monstrum in den Eingeweiden von St. Tankred wie der Riesenkrake, der Kapitän Nemos Unterseeboot Nautilus in 20 000 Meilen unter dem Meer angegriffen hatte. Die Fangarme seiner Rohrleitungen schlängelten sich nach allen Richtungen, und die beiden runden Fenster in der guss-eisernen Tür glommen wie zornige rote Augen.
    Der Vikar behauptete, Dick Plews, der Dorfklempner, pflege eine »innige Beziehung« zu dem Untier, aber sogar ich wusste, dass das hoffnungslos übertrieben war. Dick hatte eine Heidenangst vor dem Heizkessel, das wusste das ganze Dorf.
    Während der Gottesdienste, besonders in den langen Pausen, wenn wir gerade andächtig der Predigt lauschten, drang manchmal ein Schwall übelster Schimpfworte durch die Warmluftschächte zu uns empor – Schimpfworte, die wir natürlich alle kannten, bei denen wir aber geflissentlich so taten, als hätten wir sie noch nie gehört.
    Erschauernd ging ich weiter.
    Auf beiden Seiten des Ganges waren zugemauerte Nischen. Dahinter stapelten sich wie Klafterholz (so drückte es Mr. Haskins aus) die zerfallenden Särge jener Dorfbewohner, die vor uns das Diesseits verlassen hatten, darunter auch etliche de Luces.
    Ab und zu hätte ich meine mumifizierten Vorfahren gern ans Licht geholt und mir in Ruhe angeschaut – nicht nur, um sie mit den düsteren Porträts in Buckshaws Ahnengalerie zu vergleichen, sondern auch, weil mir der Anblick von Leichen immer wieder Vergnügen bereitet.
    Nur Dogger wusste von meiner ungewöhnlichen Vorliebe. Seiner Meinung nach diente die Beschäftigung mit den Toten dazu, über der Freude am Wissenserwerb den Kummer zu vergessen.
    Außerdem hatte er mir noch versichert, dass Aristoteles mein Interesse für Leichen geteilt hatte.
    Der gute alte Dogger! Er verstand es wie kein anderer, mich zu beruhigen.
    Jetzt hörte ich Stimmen. Ich befand mich inzwischen unter der Apsis.
    »Aufpassen, Tommy, vorsichtig!«, drang es durch das Dämmerlicht zu mit herüber.
    Ein Schatten huschte über die Wand, als hätte jemand eine Taschenlampe angeknipst.
    »Langsam … Wo bleibt Haskins mit dem verdammten Seil? Verzeihen Sie den Ausdruck, Herr Vikar.«
    Der Vikar stand mit dem Rücken zu mir in einem gewölbten Durchgang. Ich reckte den Hals, um an ihm vorbeizuspähen.
    An der hinteren Wand der kleinen Kammer war ein großer Stein halb aus der Wand gestemmt und lag mit einem Ende auf einem Sägebock. Dahinter klaffte eine dunkle Öffnung.
    Vier Arbeiter, von George Battle abgesehen allesamt Unbekannte, standen bereit.
    Als ich einen Schritt vortrat, stieß ich gegen den Ellbogen des Vikars.
    »Herr des Himmels, Flavia!«, entfuhr es dem erschrockenen Gottesmann. Im Halbdunkel waren seine Augen groß wie Untertassen. »Mir ist fast das Herz stehen geblieben! Was hast du überhaupt hier unten zu suchen? Das ist viel zu gefährlich. Wenn dein Vater das erfährt, lässt er mir den Kopf abschlagen.«
    Ich sah Johannes den Täufer vor mir.
    »Der heilige Tankred ist doch mein Namenspatron«, sagte ich rasch. »Da wollte ich gern die Erste sein, die seine gesegneten Gebeine zu Gesicht bekommt.«
    Der Vikar starrte mich verständnislos an.
    »Mein Name lautet Flavia Tankreda de Luce«, half ich ihm auf die Sprünge. Dabei legte ich einen Unterton scheinheiliger Ehrfurcht in meine Stimme, faltete die Hände vor der Brust und senkte den Blick. Das hatte ich mir von Feely bei ihren Andachtsübungen abgeschaut.
    Der Vikar war erst verdutzt, dann erwiderte

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