Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
groß nachdachte, würde mich der Gott der Chemie schon leiten.
Nach einer Weile griff ich nach drei Flaschen und stellte sie auf die Arbeitsplatte.
Mit einer Pipette maß ich aus der ersten Flasche eine halbe Unze einer klaren Flüssigkeit in ein Reagenzglas ab. Aus der zweiten Flasche träufelte ich drei Unzen einer anderen Flüssigkeit in einen kleinen Kolben. Dann kippte ich beides in einen Behälter mit destilliertem Wasser und beobachtete gespannt, wie sich das Ganze rötlich färbte.
Simsalabim! Aqua regia … Königswasser!
Die Alchemisten erfanden diesen Namen, weil man darin Gold auflösen kann, und Gold war in ihren Augen die Königin der Metalle.
Ich selber bin auch jedes Mal ganz begeistert von diesem Prozess.
Eigentlich ist Königswasser eher orange als rot: Die genaue Farbbezeichnung wäre Granatapfel, wenn ich mich recht entsinne. Ja, Granatapfel, das war’s.
Ich hatte diese exotischen Früchte schon mal in einem Schaufenster auf der Hauptstraße gesehen. Mr Hughes, der Obst- und Gemüsehändler, hatte die Dinger versuchsweise eingekauft, aber sie lagen im Fenster, bis sie schwarz und verschrumpelt wie Boviste waren.
»Bishop’s Lacey ist noch nicht so weit«, hatte er Mrs Mullet verkündet. »Wir verdienen sie noch nicht.«
Ich staunte immer noch, dass drei klare Flüssigkeiten – Salpetersäure, Salzsäure und Wasser –, wenn man sie zusammenschüttet wie durch Zauberei eine Farbe bilden – nicht nur irgendeine Farbe, sondern ein flammendes Sonnenuntergangsrot.
Die strudelnden Schlieren in dem Glasbehälter waren gleichsam ein Spiegelbild dessen, was sich in meinem Kopf abspielte.
Die ganze Geschichte war fürchterlich verworren: der Überfall auf Fenella, der grausige Tod von Brookie Harewood, Porcelains plötzliches Auftauchen und ebenso plötzliches Verschwinden, Harriets Kaminböcke, die an drei verschiedenen Orten auftauchten, der Antiquitätenladen der abscheulichen Pettibones, Miss Mountjoy und die Humpler, Vanetta Harewoods angeblich verschollenes Porträt von Harriet – und als Begleitmusik wie das Dröhnen einer Orgelpfeife Vaters drohender Bankrott.
Das war ja kaum noch auszuhalten!
Das Königswasser wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler, als wartete es ebenfalls ungeduldig auf Antworten.
Und ich hatte endlich eine Eingebung.
Ich stellte einen Bunsenbrenner an und schob ihn unter den Kolben. Ich wollte die Säure vorsichtig erhitzen.
Ich holte ein Holzkästchen aus einem Schrank, auf das Onkel Tar mit Bleistift »Platin« gekritzelt hatte, und öffnete es. Darin befanden sich ungefähr ein Dutzend fingernagelgroßer, silbergrauer Plättchen.
Als das Königswasser die richtige Temperatur hatte, ergriff ich das Platinplättchen mit einer Pinzette und hielt es über die Kolbenöffnung. Von dem Zischen des Bunsenbrenners abgesehen, war es im Labor so still, dass ich das leise Plopp hörte, mit dem das Platin in die Flüssigkeit tropfte.
Zuerst passierte gar nichts.
Dann färbte sich die Flüssigkeit dunkelrot …
… und der Todeskampf des Platins begann.
Dieser Teil gefiel mir am besten!
Das Platin flüchtete sich vor der Säure an die Glaswand des Kolbens und versuchte verzweifelt zu entkommen.
Und dann auf einmal – puff! – war das Platin weg.
Ich hörte förmlich, wie sich das Königswasser schmatzend die Lippen leckte: » Mehr, mehr!«
Dabei hatte sich das Platin durchaus heldenhaft zur Wehr gesetzt. Worauf es hier ankam, war: Platin löst sich in keiner Säure allein!
Salpetersäure allein konnte nichts gegen das Edelmetall ausrichten, und Salzsäure allein lachte das Platin einfach nur aus. Es bedurfte des Zusammenspiels der beiden Flüssigkeiten.
Daraus ließ sich etwas lernen, beziehungsweise zweierlei.
Erstens: Ich war das Platin. Es brauchte mehr als einen einzigen Gegenspieler, um Flavia Sabina de Luce in die Knie zu zwingen.
Zweitens: In dem Kolben blieb Platinchlorid zurück. Es lohnte sich bestimmt, diesen Stoff zu untersuchen, und zwar auf das Vorhandensein von entweder Nikotin oder Kalium. Entscheidend war jedoch, dass das Platinplättchen zwar verschwunden, dafür aber etwas Neues mit ganz neuen Eigenschaften entstanden war.
Mein Blick fiel auf mein Spiegelbild in dem Glaskolben. Mir schaute ein Gesicht entgegen, das mit großen Augen verfolgte, wie die trübe Flüssigkeit im Kolben abermals umschlug und eine kränklich gelbe Färbung annahm, die mich an das Gewaber in der Kristallkugel einer Wahrsagerin erinnerte.
Jetzt wusste ich,
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