Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
was ich zu tun hatte.
»Sieh da – Flavia!«, sagte der Vikar. »Wir haben dich am Sonntag in der Kirche vermisst!«
»Entschuldigen Sie, Herr Vikar«, erwiderte ich. »Ich glaube,
ich habe es am Samstag ein bisschen übertrieben, mit der Kirmes und so weiter.«
Da man seine guten Taten nicht ausposaunen soll, schwieg ich hinsichtlich der Hilfe, die ich Fenella angeboten hatte. Ich tat gut daran, denn der Vikar schnitt das Thema von allein an.
»Dein Vater meinte, er habe dir den Luxus erlaubt, am heiligen Sonntag einmal richtig auszuschlafen. Aber es war ja auch wirklich sehr lieb von dir, dass du am Samstag den guten Samariter gespielt hast.«
»Ach, das war doch nicht der Rede wert. Ich helfe gern«, entgegnete ich mit geziemender Bescheidenheit.
Der Vikar stand auf und streckte sich. Er hatte mit der Küchenschere die Grasbüschel um die Pfosten des Anschlagsbretts von St. Tankred gestutzt.
»Es gibt viele verschiedene Arten, dem Herrn zu dienen«, sagte er, als er meinen belustigten Blick sah.
»Ich habe die arme Seele im Krankenhaus besucht«, fuhr er fort, »gleich nach der Frühmesse.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«, fragte ich erstaunt.
»Nein, nein. Sie hat meinen Besuch gar nicht mitbekommen. Schwester Duggan hat gesagt, sie habe das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt – ich meine, die Zigeunerin, nicht Schwester Duggan –, und dass sie – also jetzt wieder die Zigeunerin – eine unruhige Nacht verbracht habe. Angeblich hat sie immer wieder laut gerufen. Es ging anscheinend um etwas, das irgendwo versteckt sein soll. Arme Frau.«
Versteckt? Was konnte Fenella gemeint haben?
Sie hatte mir gegenüber eine Kundin erwähnt, in deren Vergangenheit angeblich etwas begraben war … war »begraben« dasselbe wie »versteckt«?
»Ja, es ist wirklich schlimm«, pflichtete ich dem Vikar bei. »Als Wahrsagerin hatte sie auf der Kirmes großen Zulauf – aber dann fing ja leider das Zelt Feuer. Die Kundin vor mir soll sich sehr aufgeregt haben, weil das, was sie über ihre Vergangenheit
zu hören bekommen hatte, hundertprozentig zutreffend war.«
Huschte ein Schatten über das Gesicht des Vikars?
»Über ihre Vergangenheit? Unwahrscheinlich. Die Kundin vor dir war nämlich Mrs Bull.«
Mrs Bull! Ich hätte schwören können, dass die erste Begegnung zwischen Mrs Bull und Fenella seit vielen Jahren in meiner Anwesenheit stattgefunden hatte – und zwar nach der Kirmes.
»Sind Sie sicher?«, fragte ich.
»Ziemlich. Ich plauderte gerade am Kokosnussstand mit Ted Sampson, als Mrs Bull mich bat, ihre Knirpse kurz im Auge zu behalten. ›Ich komm gleich wieder, Herr Vikar‹, hat sie gesagt. ›Aber ich muss mir unbedingt die Zukunft vorhersagen lassen. Hoffentlich kriege ich nicht noch mehr von diesen kleinen Nichtsnutzen.‹ Das war natürlich ein Scherz, aber ich fand es unter diesen Umständen trotzdem ein bisschen merkwürdig. « Der Vikar wurde rot. »Herrje, jetzt hab ich mich verplappert! Vergiss bitte, was ich gesagt habe.«
»Keine Sorge, Herr Vikar, ich schweige wie ein Grab. Außerdem gehören die Bulls doch gar nicht zu Ihrer Gemeinde. «
»Das spielt überhaupt keine Rolle. Diskretion ist Diskretion, da gibt es keine religiösen Unterschiede.«
»Ist Mrs Bull eine Humplerin?«, fragte ich unvermittelt.
»Eine Humplerin? Wie kommst du denn darauf? Diese wunderliche Glaubensrichtung ist schon seit Ende des 18. Jahrhunderts verboten, wenn ich mich nicht irre. Natürlich gab es immer wieder mal Gerüchte, aber darauf darf man nichts…«
»Wirklich?«, fiel ich ihm ins Wort. »Wurde der Humplerglaube wirklich verboten?«
Oder hielten sich die heutigen Humpler nur so erfolgreich im Verborgenen, dass sogar der Vikar von St. Tankred sie für ausgestorben hielt?
»Wem auch immer sich die Humpler verpflichtet fühlen«, fuhr er fort, »wir dürfen uns kein Urteil über andere Glaubensrichtungen erlauben. «
»Da haben Sie recht«, sagte ich, als mir aufging, was er da sagte.
»Haben Sie eben gesagt, Sie hätten mit einem Mr Sampson geplaudert? Mit Mr Sampson aus East Finching?«
»Ja, mit Ted Sampson. Er kommt immer noch vorbei, um beim Aufbau der Zelte und Stände zu helfen. Das macht er jetzt schon seit fünfundzwanzig Jahren. Er sagt, er fühlt sich dabei seinen Eltern nahe, denn die liegen beide hier auf unserem Friedhof. Er selbst wohnt inzwischen in East Finching, seit seiner Hochzeit mit einer …«
»Mit einer was?« Hätte ich Schnurrhaare gehabt, sie hätten
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