Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
wenn’s ein Deutscher ist, er hat immer noch bessere Manieren als der Gockel, der andauernd seinen Plunder vor der Küchentür abstellt.«
Armer Ned!, dachte ich. Sogar Mrs Mullet war gegen ihn.
»Als ich in der Diele abgestaubt hab, hab ich was mitgehört, was der Deutsche gesagt hat - es ging um Heathcliff und so weiter. Ich weiß noch wie heute, wie ich damals mit meiner Freundin Mrs Waller mit dem Bus nach Hinley gefahren bin, um mir den Film anzusehen. Sturmhöhe hieß der, und das traf es, muss ich sagen! Also dieser Heathcliff hat doch seine Frau oben im Dachboden versteckt, als wär’s ne alte Kommode! Kein Wunder, dass die durchgedreht ist. Ich wäre auch durchgedreht! Was gibt’s denn da zu lachen, Fräuleinchen?«
»Ach, ich stelle mir nur grade vor, wie Dieter durch Blitz
und Regen über das Ablassfeld stiefelt, um die holde Ophelia zu entführen.«
»Warum nicht? Bloß Sally Straw würde das gar nicht schmecken, und, wie ich gehört hab, der Alten selber auch nicht.«
»Der Alten? Mrs Ingleby? Meinen Sie etwa Grace Ingleby?«
Mrs Mullet war plötzlich so rot geworden wie ein Topf voller kochender Roter Bete.
»Ich rede mal wieder zu viel«, brummte sie verlegen. »Muss wohl am Sherry liegen. Alf sagt immer, dass Sherry den kleinen Mann k.o. schlägt, der meine Zunge hütet. Aber jetzt lauf, Liebes. Und denk dran - ich hab nix gesagt.«
Soso, dachte ich, soso!
23
M it Gift zu hantieren hat für mich etwas Befreiendes. Wenn der kleinste Ausrutscher tödlich sein kann, ist man gezwungen, sich auf sein Experiment zu konzentrieren wie eine Sammellinse auf den Brennpunkt, und dann kommt es oft vor, dass einem die Antworten auf halb ausformulierte Fragen so bereitwillig zufliegen wie Bienen, die in ihren Stock zurückkehren.
Nachdem ich bereits einen ordentlichen Schuss Schwefelsäure in einen frisch ausgewaschenen Kolben gegeben und ein wenig erhitzt hatte, fügte ich vorsichtig ein Klümpchen kristallines Gelee hinzu und schaute ehrfürchtig dabei zu, wie es sich langsam auflöste und wie ein durchsichtiger kleiner Tintenfisch sich in dem Säurebad wand und krümmte.
Diesen Stoff hatte ich mithilfe von Wasser und Alkohol aus den Wurzeln einer Gelben Jasminpflanze (Gelsemium sempervirens) extrahiert, die ich zu meinem Entzücken in einer Ecke des Gewächshauses fröhlich vor sich hin blühend entdeckt hatte. Die Blüten sahen aus wie kleine, aus frischer Butter geformte Trompeten.
Von Dogger wusste ich, dass die Pflanze ursprünglich aus Amerika stammte und im Gepäck von Reisenden in britische Gewächshäuser gekommen war. Dieses besondere Exemplar hatte sogar meine eigene Mutter, Harriet, mitgebracht.
Ich hatte Dogger gefragt, ob ich die Blume in mein Labor mitnehmen dürfe, und er hatte bereitwillig zugestimmt.
Die Wurzel enthielt ein wunderbares Alkaloid namens Gelsemin,
das seit Anbeginn der Schöpfung unentdeckt in der Pflanze geschlummert hatte, bis es im Jahr 1870 von einem Mann aus Philadelphia mit dem charmanten Namen Wormley entdeckt wurde. Er verabreichte das bittere Gift einem Kaninchen, das daraufhin einen Salto rückwärts machte und nach zwanzig Minuten verschied.
In Gesellschaft eines Mörders wie Gelsemin fühlte ich mich ausgesprochen wohl.
Nun jedoch kam Magie ins Spiel!
In die Flüssigkeit gab ich eine Messerspitze K 2 Cr 2 O 7 bezieungsweise Kaliumdichromat, dessen rote Salzkristalle, von einem verirrten Sonnenstrahl vom Flügelfenster her erleuchtet, das Ganze in das lebhafte Kirschrot umschlagen ließen, wie es das Blut von Kohlenmonoxid-Opfern aufweist.
Und das war erst der Anfang. Es kam noch besser!
Schon verblasste das Kirschrot und die Lösung nahm die eindrucksvoll violette Färbung eines Blutergusses an. Ich hielt den Atem an und - ja! - da erschien sie auch schon, die letzte Phase: das gelbliche Grün.
Gelsemin gehörte zu den chemischen Chamäleons: Es wechselte mit herrlicher Unbekümmertheit die Farbe, ohne dass der vorige Farbton auch nur durchschimmerte.
Es gab auch Menschen, die sich so verhielten.
Nialla zum Beispiel.
Einerseits war sie die Gefangene eines fahrenden Puppenspielers, eine junge Frau, die, bis auf das Kind, das sie unter dem Herzen trug, keine nennenswerte Familie hatte, eine junge Frau, die es zuließ, dass ihr halbinvalider Liebhaber sie schlug, eine junge Frau, die jetzt offenbar völlig mittellos dastand. Und doch weckte sie, auf eine verzwickte, mir selbst nicht recht ergründliche Art, nicht mein uneingeschränktes
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