Fleckenteufel (German Edition)
sehnsüchtig aufs Meer. Niemals würden sie sich mit ihren aufgedunsenen Seehundskörpern reintrauen. Alter und Fettleibigkeit sind ein Käfig. Schrader raucht und malträtiert Herrn Korleis («Besser Prösterchen als ins Klösterchen, harhar»). Wieso tut der sich das an? Er könnte doch einfach im Haus bleiben.
Endlich kommt Pastor Schmidt zurück, hastet aber sofort in die kleine Pastorenwohnung. Er scheint gereizt zu sein. Keine gute Gelegenheit, mit ihm über mein Anliegen zu reden. Vielleicht kommt er ja gleich wieder raus. Ich warte bei der Tischtennisplatte, wo sich die beiden Weltmeister ein Match auf hohem Niveau liefern. Echt gut können die spielen. Susanne Bohne steht auch da und beachtet mich nicht.
Der Pastor verlässt die Wohnung erst wieder zur Abendandacht. Sein Thema: Der Glaube als Getriebe. Immer diese dämlichen Vergleiche: Den Glauben muss man sich vorstellen als … Eigentlich kann man alles einsetzen: Der Glaube als chemische Versuchsanordnung. Der Glaube als Supermarkt. Der Glaube als Hotel. Gott ist der Besitzer, Jesus Portier, der Fahrstuhl der Weg ins Paradies, die Sauna die Hölle, Zimmermädchen Engel, Frühstücksraum auch irgendwas, man muss nur lange genug drüber nachdenken.
Nach dem Abendbrot habe ich totalen Schmachter. Pastor Schmidt scheint noch gereizter zu sein als vorhin. Dann fahr ich eben morgen, auch egal.
Schon wieder Spieleabend. Fast alle spielen in den gleichen Besetzungen wie gestern. Peter Behrmann: alleine. Ich auch. Heiko und Tiedemann unterhalten sich angeregt, kein Reinkommen. Ich warte darauf, dass mich Pastor Schmidt auffordert, die Mühlepartie des gestrigen Abends fortzusetzen. Mein Schicksal bis in alle Ewigkeit: Pastor Schmidt und ich sitzen uns gegenüber, getrennt durch ein Spielbrett. Schweigend rücken wir Stein um Stein um Stein. Mühle! Mühle! Mühle! Mühle! Mühle!
Doch dann passiert, was ich nicht für möglich gehalten hätte: Heiko kommt zu mir rüber.
«Sag mal, spielst du Doppelkopf?»
«Ja.»
«Tiedemann auch. Dann brauchen wir noch ’nen vierten Mann.»
Wieso habe ich Roland Schmidt-Wagenknecht bisher eigentlich übersehen? Wie Frau von Roth hat er diesen gewissen Zug , ganz anders als die Schmidts, Behrmanns, Edams und Stanischewskys dieser Welt. Scharfgeschnittenes Gesicht, Höckernase, überheblicher Blick. Von oben herab, Dünkel nennt man das in Adelskreisen. Blasiertheit. Ich kenne sonst niemanden mit Doppelnamen, Doppelnamen sind die Vorstufe zum Adel. Peter Scholl-Latour/Kaiserliche Hoheit Otto von Habsburg. Roland Schmidt-Wagenknecht/Balduin von Nuttmann. Heiko heißt mit Nachnamen Rost, und jetzt kommt’s: Sein Vater ist Kfz-Sachverständiger! Gestatten, Rost, haha. Ob der Name wohl gut im Geschäft ist? Wahrscheinlich gerade.
Wir spielen, ohne viel Worte zu wechseln. Fuchs. Gewinnen mit oder ohne den Alten. Doppelkopf. Noch ein Doppelkopf. Und noch ein Doppelkopf. Der Schöne, der Coole und der Adlige. Ich (der Kleine) habe es mit den drei geilsten Typen überhaupt zu tun, ein Wunder, dass sie mich dabeihaben wollen. Sagenhaft. Spitze. Ich versuche, nicht weiter drüber nachzudenken. Vielleicht habe ich ja irgendeine verborgene Seite, von der ich nichts weiß. Noch nicht. Egal, ich werde Zweiter, hinter Roland und vor Tiedemann und Heiko. Wir beschließen, morgen weiterzuspielen.
Vor dem Schlafen gehe ich noch eine rauchen, ich rauch eh viel zu wenig, man kommt ja nicht dazu. Die drei Spastiker liegen bereits in ihren Schlafsäcken. Ich bin auf die Idioten zum Glück nicht mehr angewiesen. Aus Torstens Ecke riecht’s nach Leiche, aus Detlefs Ecke nach Kohlrabi-Hackbraten und aus Andreas’ Ecke nach Schwanz. Kommt mir jedenfalls so vor. Ob sich einer von denen schon einen gekeult hat, und wenn ja, wie oft? Und wenn, wo? Und wie oft hintereinander? Oder gegenseitig? Fragen über Fragen.
Scharbeutz
Lasst uns froh und munter sein .
REISE, REISE!
Findet Schrader das witzig, kann er nicht anders, oder will er uns durch Stumpfsinn demütigen? Ich werde es wohl niemals rauskriegen.
Am Nachmittag geht’s das erste Mal nach Scharbeutz. Scharbeutz, Stadt am Meer, fällt mir ein. Genialer Slogan. Ich muss mir zum Glück keine Gedanken darüber machen, wem ich mich anschließe, das gemeinsame Doppelkopfspiel hat uns zu einer Clique zusammengeschweißt: Heiko Rost, Roland Schmidt-Wagenknecht, Tiedemann und ich. Im Haus Seemöwe kauern die beiden Dachdecker auf halb acht im Reet und machen anzügliche
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