Flederzeit - Riss in der Gegenwart (Historischer Roman): 2 (German Edition)
Sentas Schulter auf die Unterlage, während seine Rechte versuchte, den Kopf zu drehen. „So kalt, ach, so kalt“, klagte er dabei.
Es ratschte, als die steife Senta zur Seite rutschte. Doch Meinhard gefiel das Ergebnis noch immer nicht. Energisch probierte er es nochmals.
Senta lag nun fast quer auf dem Sockel, ihre Beine ragten steif über die Kante hinaus, ein Schuh polterte zu Boden.
Helene japste entsetzt nach Luft und auch Mila hatte Mühe, nicht laut loszuschreien. Gleich, gleich würde Sentas Körper fallen! Alles in ihr wollte nach vorn stürzen, zupacken, Senta zurückziehen, ihr ihre Ruhe wiedergeben. Dennoch bewegte sie sich nicht, sah nur mit schaudernder Faszination auf das, was vor dem Altar geschah.
Inzwischen hatte Meinhard bemerkt, dass seine Bemühungen in eine ganz falsche Richtung liefen, verhielt, betrachtete, was er angerichtet hatte und beeilte sich, Senta wieder gerade hinzulegen. Bückte sich, hob den Schuh auf und streifte ihn umständlich über Sentas steifen Fuß. Danach betrachtete er sein Werk.
Ihr Kopf war noch immer leicht zur Seite gedreht. Meinhard beugte sich über sie, legte seine Hände an ihre Wangen, strich über ihre Schultern, über die Arme, packte schließlich den Stoff ihres Ärmels, als wollte er sich daran einhalten.
„Schwäher?“ In Helenes Stimme helle Aufregung. Sie musste ebenso schockiert sein wie Mila und genau wie diese befürchten, dass er erneut an Senta herumrucken würde. „Schwäher“, wiederholte sie lauter. „Was ist mit Euch?“
Endlich war sie zu Meinhard durchgedrungen.
Erschrocken richtete der sich auf – allerdings ohne den Zipfel von Sentas Ärmel loszulassen – und wandte sich ihnen zu. Zuerst blinzelte er fragend umher, als wäre er aus einem tiefen Schlaf erwacht und hätte keine Ahnung, wo er war und wer sie waren. Dann jedoch blieben seine Augen an Mila hängen und wurden mit einem Schlag klar. „Du“, stieß er hervor und riss seine Hand von Senta los, um auf Mila zu zeigen. Sentas Handgelenk prallte dumpf auf die Kante des Sockels und blieb nach oben abgewinkelt dort liegen. Meinhard japste auf, riss ihre behandschuhte Hand an sich, um sie mit reuigen Küssen zu bedecken. Und sie danach ganz behutsam an ihren Körper zurückzulegen.
Der Ruck, mit dem er zu Mila herumfuhr, machte sie schwanken. „Du wirst sie wieder lebendig machen.“
Als wollte der Musikant diesen unverfrorenen Frevel zudecken, setzte in diesem Moment die Musik wieder ein. Lauter diesmal, leiernd, fast ein Jaulen.
Mila musste zuerst nach Luft japsen. „Was?“
„Was?“ Das Echo war von Helene gekommen. „Schwäher, Ihr seid nicht ganz bei Euch, kommt mit mir, wir ruhen uns ein wenig aus.“
„Bleib, wo du bist, Mädchen“, fauchte er sie an, brachte sie dazu zu verharren. „Du, Mila, komm her!“
„Aber ich ...“
„Du hast meine Senta ermordet.“ Drohend schritt er auf sie zu. „Nun wirst du sie mir wiederbringen. Sofort. Sonst drehe ich dir mit meinen eigenen Händen den Hals um.“
„Schwäher!“ Nun ließ Helene sich nicht mehr aufhalten. Energisch stellte sie sich ihm in den Weg und griff nach seiner Hand.
Unwirsch schlug er nach ihr, schüttelte sie ab. „Mein Leben lang habe ich mich mit diesem teuflischen Pack geplagt. Dann habt ihr mir mein Liebstes genommen. Und jetzt verlange ich, dass du machst, was ich sage, du zauberische Missgeburt. Mach sie lebendig!“ Er streckte die Hände nach Mila aus.
Sie konnte gerade noch aus seiner Reichweite springen. „Das kann ich nicht!“
„Weder ist Mila dämonisch, noch hat sie Eure Senta umgebracht“, drängte sich Helene zwischen sie beide. Auch wenn ihr Einfluss auf Meinhard sich in Grenzen hielt, sie bemühte sich wenigstens. „Johann kann das bestätigen, er war mit ihr zusammen, als Senta starb.“
Entgeistert suchte Mila ihren Blick. Mutig, angesichts Meinhards Zustand auch noch Johann ins Spiel zu bringen!
„Seit Jahren sage ich Johann, er solle sich seine Dämonenbraut aus dem Kopf schlagen, und das wird er jetzt tun, endgültig“, schimpfte Meinhard.
Schlechte Aussichten für Helenes Unterfangen. Schlechte Aussichten jedoch auch für Mila, unbeschadet hier herauszukommen.
„Los jetzt, tu es!“
Sie schrie auf, als Meinhard einen Satz auf sie zu machte – und mitten in der Bewegung erstarrte, als aus dem Nichts eine glockenhelle Stimme ertönte.
„Gott, der Herr, der allmächtige Vater hat zu mir gesprochen.“ Eine Mischung aus Sprache und Gesang.
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