Flederzeit - Riss in der Gegenwart (Historischer Roman): 2 (German Edition)
pfeifend und irgendwie schwach auf der Brust, machte ihm bewusst, was er tatsächlich gerade betrat: die völlig neu erbaute Kapelle in ihrem allerersten Glanz.
Doch die ganze Pracht war schon da, der hohe Altar, der marmorne Sockel davor. Auf dem – befremdlicherweise – eine Leiche lag.
Matthias brauchte eine Sekunde, um sich zu orientieren, um wahrzunehmen, was hier geschah. Neben der Leiche kniete jemand. War das Meinhard? Wie zur Bestätigung sah er im Augenwinkel Johanns Zusammenzucken.
Was seinen Blick nachhaltiger auf sich zog, waren die beiden Frauen, die direkt auf sie zukamen. Die erste blond, energisch, entschlossenes Gesicht. Und dahinter ...
Mila!
Alles um ihn herum verschwand. Mila. Da war nur noch Mila. Sie war es, die leuchtete, die strahlte, die wundervoll klang und nach Weihrauch duftete und – ihm entgegensah.
Ach Quatsch, ihnen. Ihn hatte sie noch gar nicht ... erst in diesem Moment trafen sich ihre Augen, und Matthias sah den Ruck, der sie durchfuhr.
Mila!
Unwillkürlich wollten seine Arme sich ausbreiten, wollten seine Beine auf sie zulaufen, seine Finger in ihr Haar.
Doch gleichzeitig stürmte die ganze Situation auf ihn ein. Meinhard war hier und Johann. Auf der ganzen Welt gab es wahrscheinlich keinen Ort, der für ihn, der für Mila und für sie beide gefährlicher war. Ein Wink von einem der beiden Burgherren ...
Dass die sichtlich mit Anderem beschäftigt waren, war zwar beruhigend, dennoch, umarmen hatte vielleicht seine Zeit. Die aber nicht jetzt war. Matthias riss sich am Riemen. Lächelte stattdessen der Frau entgegen, für die er hierher gekommen war. Für die er überall hingehen würde. Für immer. Und ewig.
Ihr Magen sackte ins Bodenlose. Riss ihre Knie mit sich. Sie taumelte.
Oh Gott.
Das war der erste Gedanke, den sie zu fassen bekam, und in einem weit abgelegenen Winkel ihres Geistes nahm sie zur Kenntnis, wie sinnig es war, dass sie sich gerade in einer Kapelle aufhielt.
Oh Gott, er ist es.
Der Mann, der in diesem Moment zwischen Johann und Heinrich die Kapelle betrat, dieser Mann – war Mattis. Mattis, den sie so sehr ...
Er sieht anders aus.
Vielleicht lag es an seinem blau unterlaufenen Jochbein und der breiten Schramme, die auf seiner linken Wange prangte. Er hatte sich allem Anschein nach mit Johann geprügelt, der ähnlich zugerichtet war.
Nein, er ist überhaupt anders ... Dabei hatte sie sich ihm so nah gefühlt. Beklommen durchforstete sie ihre Erinnerungen. Nach Bildern, die ihr sein unvertrautes Gesicht näherbringen würden.
Dann jedoch blieben seine umherschweifenden Augen an ihr hängen – und wurden weit. Dunkelblau. Tasteten kurz über ihr Gesicht – ehe sie direkt in ihren Augen landeten. Und von da ab war es völlig belanglos, wie er aussah und wie weit sich das mit ihren Erinnerungen deckte.
Fremd war er noch immer, klar. Und das war er ja im Grunde auch gewesen, nachdem er vor vier Wochen und sechs Tagen verschwunden war – nach so wenig Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten.
Doch sein Blick erfüllte sie nun mit einer grenzenlosen Sicherheit. Mit der Sicherheit, dass sie ihm in die Augen sehen konnte und ihn anlächeln und mit ihm sprechen – ihn in aller Ruhe kennenlernen. Und dass sie nicht enttäuscht werden würde.
Weil sie darauf vertrauen konnte, dass er wirklich der Mann war, den sie sich vorgestellt, herbeigesehnt, zu kennen geglaubt hatte.
Auch wenn er und sie sich erst einmal fremd sein würden – sie beide waren bereit, das zu ändern. Und am Ende würde alles gut sein.
Sie sahen einander an.
Er lächelte nicht.
Tat sie es?
Sie schluckte. Wollte ihren Mund zu einem Lächeln formen. Alles, was sie erreichte, war, dass ihre Lippen auseinanderklappten – und sie nach Luft schnappte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr Herz bis zum Halse schlug.
Um nach dem nächsten Wimpernschlag auszusetzen.
Er lächelte!
Der Schreck darüber trieb ihr die Tränen in die Augen. Und endlich ihre Mundwinkel nach oben.
Auch er bewegte die Lippen. Was ...?
Mila.
Oh. Er hatte ihren Namen gemurmelt, doch, sie war ganz sicher. Und 'Mila' war es gewesen, nicht 'Lida'. Das hatte sie an den Lippenbewegungen ganz deutlich ablesen können. Er ist gekommen! Bewusst. Zu mir. Sie spürte, wie ihr Gesicht von innen heraus erstrahlte.
„Vater?“, hörte sie Johann neben Mattis ausrufen. Er machte einige Schritte nach vorn, unsicher, vorsichtig. Deutete auf die Leiche. „Mutter?“
„Johann, mein Sohn! Komm her zu
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