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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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meint, trägt Ansichten vor, bedauert wieder, geht ganz diplomatisch vor und merkt, daß er und seine beiden Hörer aneinander vorbeireden.
    Peinlich?
    Unangenehm — wieso?
    Balduin will doch von sich aus schon den Kranken spielen! Er hat nicht im Traum daran gedacht, sich blamieren zu wollen. Was geht ihn die ganze Sache überhaupt an? Übrigens wird er sich noch an höchster Stelle beschweren.
    Kilian beschwichtigt.
    „Ein Mißverständnis, Herr Kollege, weiter nichts als ein Mißverständnis. Schlimmstenfalls ein Streich, der sich als völlig harmlos erweisen wird. Nebenan schwelgt jemand immer noch in lyrischer Musik. Man redet weiter. Kilian höflich, Balduin gereizt. Emma so und so und unter allen Umständen darauf bedacht, ihren guten Mann in das beste Licht zu rücken.
    Na also! Man ist sich einig: Balduin ist krank. Bitte, weshalb soll ein Studienrat am Tage seiner Rede nicht krank werden? Klothilde aber wird spielen. Lyrische Soli. Ganz wie es in der Zeitung steht.
    Kilian meldet Tithemi den Erfolg seines Besuches. „Eine Zigarre, Herr Amtsgenosse...?“

    ☆

    Fritz vom Restaurant „Vater Rhein“ trägt dreiundzwanzig Glas Bier in das hintere Zimmer vom ersten Stock. Die ganze Oberprima ist versammelt. Feierlich im Sonntagsanzug und mit reinen Kragen. Gupp, wie immer, mit Gummikragen — zur Feier der Stunde gut rasiert und abgewaschen. Silentium! Gamaschke hat etwas zu sagen. Die Kameraden wissen schon, was los ist. Sie haben ja alle die Anzeige in der Zeitung gelesen. Einen Herrn Hase, der keine Zeitung liest, gibt es in ganz Rheinstadt und Umgebung nicht.
    Gamaschke verkündet, daß die Oberprima heute einen großartigen Abend veranstalten und damit den Tithemi und das ganze Gymnasium vor einem fürchterlichen Reinfall bewahren wird. Der Klasse geht ein Licht auf. Die Schwarze Hand hat sich schon lange auf diesen Abend vorbereitet. Außerdem ist noch etwas Besonderes vorgesehen. Das hängt aber davon ab... Augenblick, bitte, man darf noch nicht darüber reden.
    Gamaschke hat noch vieles zu sagen. Aber es muß sehr schnell gehen, weil die ganze Klasse in die Aula des Gymnasiums gehen soll, um dort in aller Eile das von der Schwarzen Hand vorgesehene und schon einstudierte Programm durchzuproben, vor allem aber, um schnell noch einige andere Darbietungen, die von der ganzen Klasse gemeinsam bestritten werden sollen, einzupauken. In längstens anderthalb Stunden muß alles sitzen! Es w i r d sitzen — das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Die Bildung muß leider ausfallen

    Langsam füllt sich die Aula des Gymnasiums zu Rheinstadt am Rhein. Ihre Fenster stehen noch offen, um die würzige Abendluft, die ein sinkender Sommertag schenkt, einströmen zu lassen. An der großen Türe steht Tithemi und macht amtliche Verbeugungen. Guten Abend, Herr Doktor! Guten Abend, Frau Sowieso! Schön, daß Sie gekommen sind!
    Das Gymnasium hat gerufen. Da dürfen die Prominenten nicht fehlen. Da ist zur Stelle, wer je einmal auf dieser Schule war. Da erscheint jeder, der sich amtlicherseits dazu verpflichtet fühlt. Der Herr Polizeikommissar kommt. Der Katasteramtsdirektor findet sich ein. Da ist ja sogar — oh, Herr Bürgermeister, welche Ehre!
    Jaja, moderne Pädagogik — davon hört man nicht jeden Tag. Da muß jeder dabei sein, der als gebildet gelten will. Da darf nicht fernbleiben, wer sowieso immer dabei sein muß. Da muß vor allem der Vater aufkreuzen, dessen Filius schwach in Latein und mittelmäßig in Mathematik ist — vielleicht läßt sich mit moderner Pädagogik etwas nachhelfen. Da darf niemand fehlen, der den Herrn Studienräten zeigen möchte, wie sehr man sich mit den Erziehern verbunden fühlt.
    Guten Abend, Herr Meyer! Gut, daß Sie gekommen sind, Herr Müller! Moderne Pädagogik hat es in sich. Man muß schon sagen... Rheinstadt tut etwas für seine Bildung.
    Die Oberprima sitzt in den beiden letzten Bänken, während die Vertreter der Obersekunda und Unterprima, die ja auch geladen waren, siehe Anzeige, sich in den ersten Bänken breitmachen. Die Herren Pauker, teils mit, teils ohne ihren unwissenschaftlichen Anhang, nehmen an der Seite auf besonderen Bänken Platz.
    Emma ist auch da. Im weißen Kleid. Sommerlich frisch. Neben ihr sitzt Klothilde. In Rosa — zart und weit. Auf dem Schoß hält sie einen kleinen Stoß Notenblätter. Aufgeregt? Nein, Mama! Nicht ein bißchen. Mathilde, Tithemis unamtliches Inventar, lächelt beglückt hinüber zu ihrem Männe, der noch immer

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