Flegeljahre am Rhein
ganz aus der Nähe, vom Nachbarhof. Dort wohnt ein guter Freund.
Der gute Freund fragt nicht nach dem Wohlergehen. Er ruft aus einem ganz anderen Grunde an. „Sag’ mal, Hubert, was ist denn nur los mit dir? Da ist schon wieder so ein Kerl bei mir und will allerhand über dich wissen... Jawohl, schon zum zweiten Male. Komische Sache... Wie, du hast keine Ahnung, was das zu bedeuten hat?... Interessiert dich sehr, kann ich mir denken... Du, höre mal, ich habe eine Idee. Du hast doch Zeit jetzt? Gut, gut. Ich halte den Kerl jetzt auf. Du kommst dann sofort mit deinem Wagen zu mir, fährst in den Hof, wartest da auf mich... So, richtig. Dieser Knabe ist auch mit einem Wagen hier. Wir fahren ihm dann nach. Wir wollen dann sehen, was da los ist. Übrigens, sag’ mal: seit wann sollst du denn verschuldet sein...?“
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Der Kerl, von dem eben im Telefongespräch die Rede war und der eigentlich kein Kerl ist, weil er eine feine Krawatte trägt, eine gutgebügelte Hose an den Beinen und einen dicken Füllfederhalter in der Westentasche hat — dieser Herr wundert sich, daß er einen Schnaps trinken, daß er sich setzen und eine Zigarre anzünden soll.
Man erzählt sich etwas. Man spricht vom Wetter. Ja, gestern hätte es beinahe geregnet.
Draußen hupt ein Auto.
Jetzt ist es mit den Schnäpsen für den Herrn — wie war doch der Name? — nun ist also der „gemütliche Teil“ für Herrn Seifert vorbei. Wenn die Zigarre nicht schon angezündet wäre, läge sie wahrscheinlich noch in der Kiste. Da hat der Herr aus Bonn aber Glück gehabt...
Der Herr aus Bonn dankt, verabschiedet sich, steigt in seinen Wagen, fährt schon und merkt nicht, daß ein anderes Auto hinter ihm her ist. Seifert ist zufrieden. Er weiß nun alles, was er wissen muß. Man kann der Dame aus Rheinstadt nur Gutes berichten. Keine Bedenken, ganz und gar nicht.
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Die Dame aus Rheinstadt soll in anderthalb Stunden noch einmal wiederkommen.
„Bitte sehr, gnädige Frau, wir werden unsere Untersuchungen gleich abgeschlossen haben. Wir erwarten nur noch Nachricht unseres Herrn Seifert, der in spätestens einer Stunde hier sein muß.“ Die Dame aus Rheinstadt geht eine Tasse Kaffee trinken und kommt zurück. Alles ist in bester Ordnung, gnädige Frau — bitte sehr, hier ist eine genaue Aufstellung, macht zusammen 35 Mark. Die Dame aus Rheinstadt geht beglückt aus der Auskunftei INTENSIVA.
Besagte Dame hat es schon wieder sehr eilig. Sie will zum Bahnhof und nach Hause. Eine Frohbotschaft trägt man nicht gerne lange für sich allein. Emma hat leider nicht gesehen, daß nicht weit von der Auskunftei ein Auto parkte. Als sie aus der Tür kam, schüttelte in diesem Auto ein Herr den Kopf. Der Herr hatte gebräunte Hände und ein gebräuntes Gesicht. Er muß sich sehr viel in der frischen Luft aufhalten. Seine Finanzen sind in Ordnung. Aber der Herr kann es nicht vertragen, wenn er beschnüffelt wird.
Solche Leute gibt es.
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Emma hat es immer eilig. Der „Weg vom Bahnhof Rheinstadt zur Peterstraße 7a kommt ihr heute sehr lang vor. Sie läutet Sturm. Klothilde stürzt an die Tür. Sie ist eben erst von der Post zurückgekommen. Der Briefkasten, in den sie etwas hineingesteckt hat, duftet süß. Die Luft draußen ist eisig kalt, und ein frischer Hauch kribbelt Klothilde an den Beinen, als sie die Tür aufmacht. „Mein Kind!“
„Mama!“
Was jetzt geschieht, kann sich jeder denken. Wenn die Mama überwältigt und die Tochter lyrisch ist...
Balduin ist nicht da. Er wird wohl in Rebenheim sein. Gut so. Man hat sich soviel zu erzählen. Etwas Kaffee dazu? Natürlich. Etwas Keks. Etwas Klavier. Das „Gebet einer Jungfrau“. Träumereien zwischen den Tasten. Ein Gutenachtkuß. Und dann wirkliche Träumereien. Rosarotes Briefpapier. Was wird er nur antworten, der Liebste? Der Briefträger ist in den letzten Tagen nicht mehr oft zur Peterstraße 7a gekommen. Am nächsten Morgen aber ist er da. Noch unerwartet. Der Liebste kann doch frühestens übermorgen geantwortet haben. Klothilde hält zitternd einen Brief in der Hand. Dreht ihn um. Liest den Absender. Zittert noch mehr. Er schreibt an Mama...? Emma liest. Mama wird kleiner und kleiner, sinkt in den Sessel.
»…ich kann so etwas wirklich nicht vertragen. Es wirft zudem ein böses Licht auf Sie — ein Licht, das mir nicht geeignet erscheint…“
Und so weiter. Und so weiter.
Mama flimmert es vor den Augen. Sie kann den Brief nicht zu Ende lesen. Klothilde faßt sich ein Herz
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