Flehende Leidenschaft
Elizabeth verführen? Tut mir leid – die Macht der Gewohnheit …«
»Ich glaube viel mehr, du hattest nie die Absicht, dich zurückzuhalten.«
»Doch, bis zu dieser Nacht.«
Munro stöhnte. »Wie soll ich nur diese drei Tage überstehen?«
Belustigt hob Johnnie sein Glas und prostete ihm zu. »Drei hochinteressante Tage. Ich freue mich schon auf morgen.«
Und so fuhr er fort, Elizabeth zu umwerben, während Munro die Anstandsdame mimte. Alle drei wurden zusehends nervöser. Am Sonntag veranstalteten die Grahams ein Picknick und eine Bootsfahrt auf dem See, abends wurde wieder getanzt, und am Montag fand die Hochzeit statt.
In der Nacht zum Dienstag war Johnnie so schlecht gelaunt wie schon lange nicht mehr. Elizabeth lag schlaflos im Bett, einerseits froh, weil ihre Vernunft gesiegt hatte – und andererseits wünschte sie inständig, sie könnte ihrer sinnlichen Sehnsucht nachgeben. Und Munro zählte die Stunden bis zur Abreise. Die ganze Nacht blieb er wach, um Elizabeth notfalls zu schützen. Im Morgengrauen schlief er völlig erschöpft ein und wurde kurze Zeit später unsanft wach gerüttelt.
»Sie ist weg!« verkündete Johnnie. Vollständig angezogen und sichtlich wütend stand er neben dem Bett seines Vetters. »Glaubt sie wirklich, sie könnte mir entrinnen?«
Schmerzlich verzog Munro das Gesicht, als sich Johnnies Finger in seine Schulter gruben.
»Verzeih …« Johnnie ließ ihn los, trat ans Fenster und starrte zur Auffahrt hinab. Rastlos trommelten seine Finger gegen die Scheibe, und sein Blick wanderte nach Süden – nach England. Dann wandte er sich zu seinem Vetter und fügte hinzu: »Ich reite ihr nach. Komm mit oder bleib hier. Und es ist mir völlig egal, was du denkst. Du oder sonst jemand!«
»Oh, das war dir doch immer schon egal«, murmelte Munro ironisch.
»Jedenfalls will ich sie haben. Nur dir und deinem verdammten Ehrgefühl verdanke ich diese drei qualvollen Tage. Verstehst du, was es heißt, mit Elizabeth zu tanzen, und sie in den Armen zu halten – und dann vergeblich zu hoffen? Nachts wach zu liegen, sich vorzustellen, wie sie im Bett liegt – und mit wem …«
Vorwurfsvoll hob Munro die Brauen.
»Schon gut, schon gut!« seufzte Johnnie, »sicher schläft sie allein auf ihrem keuschen Lager. Beinahe wäre ich auf den Baum vor ihrem Fenster geklettert, um sie zu beobachten.« Angewidert schnitt er eine Grimasse. »Wie ein verliebter Schuljunge! Verdammt, ich muß sie haben, sonst werde ich noch verrückt. Und du kannst mich nicht dran hindern! Wie gesagt, du mußt mich nicht begleiten, wenn’s dich zu sehr ärgert.«
Munro warf die Decke beiseite und schwang die Beine über den Bettrand. »Selbstverständlich komme ich mit. Dann kann ich wenigstens deine Leiche nach Haus verfrachten, wenn dich ein entrüsteter Redesdale-Wachtposten umbringt. Aber sie ist wohl kaum weggelaufen, weil sie dich so abstoßend findet«, fügte er grinsend hinzu.
»Nein, weil sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen hat.«
»Da könntest du dich irren.«
»Nun, ich werd’s ja herausfinden.«
»Dafür mußt du vielleicht mit deinem Leben bezahlen.«
Aber Johnnie bezweifelte, daß Elizabeth ihre Tugend wichtig genug nahm, um ihn töten zu lassen. »So dramatisch wird’s schon nicht ablaufen.« Plötzlich grinste er. »Oder sie schläft mit mir, bevor sie mich ihrem Redesdale-Heer ausliefert.«
Elizabeth war am frühen Morgen abgereist – unfähig, einen weiteren Tag in Johnnie Carres Nähe zu verbringen, ohne ihrer Sehnsucht nachzugeben. Und so war die Flucht der einzige Ausweg.
Oder sie hätte den skandalösen Laird von Ravensby vor den Augen aller Grahams in ihr Bett geholt und ganz Schottland schockiert.
An diesem Morgen hatte sie der Versuchung, in Johnnies Arme zu sinken, nur widerstanden, weil sie nicht wußte, wo sein Zimmer lag. Zutiefst erschrocken über die Intensität ihrer Wünsche, war sie davongefahren.
Sobald der Graham-Landsitz hinter ihr lag, fühlte sie sich nicht mehr so verletzlich. Sie bat ihren Kutscher, etwas langsamer zu fahren, und entspannte sich.
Jetzt war sie in Sicherheit, weit entfernt von dem verführerischen Johnnie Carre, von der Macht seines Lächelns, seines Charmes, seiner Sinnlichkeit. Genüßlich atmete sie die frische Sommerluft ein, die durchs Wagenfenster hereinwehte, und die schöne Landschaft beruhigte ihre Nerven.
Ja, es war richtig gewesen, vor Johnnie Carre zu fliehen. Er hätte das friedliche Leben, das sie nun endlich führte, völlig
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