Flehende Leidenschaft
Edinburgher Gesellschaft reizlos, die modische Welt banal, sein Stadthaus viel zu ruhig. Und wenn er hierblieb, mußte er Roxie sein ungewöhnliches Verhalten erklären. Dazu sah er sich außerstande. Am nächsten Morgen beschloß er, nach Goldiehouse zu reiten.
Dort würden die Erinnerungen an Elizabeth noch viel lebhafter auf ihn einstürmen. Das wurde ihm unterwegs bewußt. So verzögerte er die Reise nach Süden und suchte mehrere Freunde auf.
Am Nachmittag des 30. September schwang er sich im Hof von Goldiehouse aus dem Sattel.
»Willkommen daheim, Johnnie!« rief Dankeil Willie. »Du warst lange weg.«
»Ja, die Geschäfte und das Parlament haben mich ferngehalten.« Johnnie warf die Zügel einem Reitknecht zu. »Wo stecken sie denn alle?«
»Die meisten Männer wirst du im Stall finden, bei den neuen Fohlen. Heute morgen sind Adam und Kinmont nach Kelso geritten. Und Munro arbeitet im neuen Flügel, wie üblich.«
Nun rannte Mrs. Reid aus dem Haus. »Was treibst du denn hier, Johnnie?«
»Das ist mein Heim. Weißt du’s nicht mehr?«
»Pah! Männer!«
Eigentlich wollte er keine nähere Erklärung hören. Aber weil er unter ihrer Obhut aufgewachsen war, nachdem er mit zwölf Jahren die Mutter verloren hatte, fragte er sanft: »Gibt’s irgendwelche Probleme?«
»So kann man’s wohl nennen – falls du ein Gewissen hast.«
Der Reihe nach schaute er die Dienstboten an, die sich inzwischen im Hof versammelt hatten. Dann musterte er wieder die empörte Miene seiner Haushälterin. »Würdest du mich in die Bibliothek begleiten?«
»Natürlich. Reden wir lieber unter vier Augen über deine Niedertracht.« Den Kopf hoch erhoben verschmähte sie den Arm, den er ihr bot, und eilte ins Haus.
»Weißt du, was das zu bedeuten hat, Willie?« fragte er verwundert.
Willie errötete bis in die Haarwurzeln. »Am besten fragst du sie …«
»Und alle wissen, was los ist?«
»Ja, leider.«
Spöttisch hob Johnnie die Brauen. »Soll ich wieder wegreiten?«
»Das mußt du selber entscheiden.« Keine tröstliche Antwort …
Als er die Bibliothek betrat, saß Mrs. Reid kerzengerade in einem Tapisseriesessel und verkündete ohne Umschweife: »Sie wird heiraten.«
Wen sie meinte, mußte sie nicht erläutern.
»Nun, das ist ihr gutes Recht, nicht wahr?« erwiderte er, schloß langsam die Tür und blieb in sicherer Entfernung stehen.
»Findest du’s nicht seltsam, daß sie uns kein Sterbenswörtchen verraten hat?«
»Trotzdem wißt ihr Bescheid.«
»Nur weil ich ihr Obst geschickt habe. Gestern kam der Fahrer mit der großen Neuigkeit zurück. Nicht einmal Munro hat sie was erzählt. Ist das nicht sonderbar?«
»Sie führt ihr eigenes Leben.«
»Und du kümmerst dich nicht drum, was?«
»Womit habe ich deinen Zorn verdient?« Seit Jahren war sie über seine Affären informiert, und sie hatte ihn nie gemaßregelt.
»Vielleicht interessiert’s dich, daß sie seit zwei Monaten ein Kind erwartet.«
»Wieso weißt du das?« Jetzt änderte sich sein Tonfall.
»Weil’s in Three Kings kein Geheimnis ist. Und alle sagen, Lady Graham sei sehr glücklich.«
»Wen heiratet sie denn?«
»Sir George Baldwin.«
Sein Herz drohte stillzustehen. Als er wieder atmen konnte, nickte er. »Danke für die Mitteilung. Wir sollten dem jungen Paar ein Hochzeitsgeschenk senden. Das überlasse ich dir.«
»Was für ein gefühlloser Bastard du bist!« Die Hand am Türknauf, wandte er sich noch einmal zu ihr. »Da sagst du mir nichts Neues.«
Beim Dinner herrschte gedrückte Stimmung. Munro war ebenso schlecht gelaunt wie sein Vetter, Elizabeth wurde nicht erwähnt, und Kinmont sprach angelegentlich über geschäftliche Dinge. Aufmerksam beobachtete Adam und einige jüngere Männer den Laird, der zu erproben schien, wieviel Cognac er vertrug. Sie hatten gewettet, welches Ende der Abend nehmen würde.
Kurz vor zwei Uhr morgens fragte er gedehnt: »Können wir um diese Stunde ein paar Reiter zusammentrommeln?«
Kinmont, der in seinem Sessel gedöst hatte, war sofort hellwach, und Munro meinte sarkastisch: »Wird auch allmählich Zeit …«
Da Adam die Wette gewonnen hatte, grinste er seine Gefährten triumphierend an. »Genügen dreihundert Mann?«
Johnnie stand auf. »In einer Stunde reiten wir nach Three Kings. Und nehmt ein Pferd für eine Lady mit.«
Jagdhörner und Leuchtfeuer alarmierten die Carres, und innerhalb einer Stunde versammelten sie sich im Hof. Die mondlose Nacht verhinderte einen allzu schnellen Galopp,
Weitere Kostenlose Bücher