Flehende Leidenschaft
bekommen, du mußt das Urteil nicht abwarten.«
»Nun, die Geschworenen wurden bereits sorgfältig ausgewählt. Spar dein Geld für die Anwälte.«
Wenigstens wird Johnnie am Leben bleiben, dachte sie und faßte Mut. Solange die Gerichtsverhandlung andauert …
Doch es war besser, wenn er die Flucht ergriff. Sobald sie seine Schritte im Flur hörte, schrie sie aus voller Kehle: »Lauf weg, Johnnie! Sie sind hier!«
Nur für einen kurzen Augenblick hielten die Schritte inne, dann stürmten sie weiter. Durch einen Tränenschleier beobachtete sie, wie er die Tür aufstieß und ins Zimmer trat. Abrupt blieb er stehen, und das lange Cape schwang um seine Beine. In dem kleinen Raum wirkte er überlebensgroß. Sein schwarzes Haar berührte beinahe einen Deckenbalken.
»Lassen Sie Elizabeth gehen!« forderte er Godfrey auf, der seine Tochter mit einer Pistole bedrohte.
»Unmöglich. Ich brauche sie, weil sie vor Gericht gegen Sie aussagen muß, Ravensby.«
»Dann werden Sie Elizabeth wohl kaum erschießen.«
»Natürlich nicht.«
»Aber ich wünsche nicht, daß Sie ihr auch nur ein Haar krümmen.«
»Was Sie wollen, spielt keine Rolle. Aber wenn Sie sich meinen Wünschen widersetzen, wird Elizabeth vielleicht dafür büßen. Gar nicht zu reden von Ihrem Kind, das bald zur Welt kommen wird. Und legen sie freundlicherweise Ihre Waffen ab. Hauptmann!« rief er, und wenig später drängten sich die Dragoner ins Zimmer. Bald hatten sie Johnnie überwältigt und gefesselt.
Als er aus dem Zimmer gezerrt wurde, schaute er seine Frau an, über die Köpfe der Rotröcke hinweg. »Verlier nicht den Mut!«
In diesem Moment verspürte sie eher Zorn als Verzweiflung, und wäre sie bewaffnet gewesen, hätte sie ihren Vater ohne Zögern getötet. »Dafür wirst du sterben!« zischte sie haßerfüllt.
«Glaubst du vielleicht, du könntest mir Angst machen?« fragte er und blickte nur kurz von Johnnies Sachen auf, die er eifrig durchsuchte. Ehe er das Zimmer verließ, postierte er wieder zwei Soldaten vor der Tür.
Elizabeth kehrte ihnen den Rücken und schmiedete Pläne. Wie konnte sie Redmond in Three Kings verständigen? Die Zeit war knapp, und Johnnies Leben stand auf dem Spiel. Außerdem mußte sie Robbie oder Munro informieren. In Edinburgh würde sie sicher eine Gelegenheit finden, sich mit den Carres und ihren Freunden zu verständigen. Ungeduldig fieberte sie der Abreise entgegen.
Ein paar Stunden später wurde sie aus der Taverne geführt. Zu ihrer Verblüffung wartete eine luxuriöse Kutsche vor dem Ausgang. Ihr Vater stand neben dem Wagenschlag. »Eine besondere Gefälligkeit von deinem Ehemann«, erklärte er. »Dieses noble Vehikel hat er für dich gemietet, trotz der horrenden Summe. Wie heiß und innig muß er dich lieben …«
Von einer bösen Ahnung erfaßt, folgte sie seinem spöttischen Blick zum Stall, und ihr schriller Schrei schreckte die Möwen am Margarth Cove auf.
Mitten im Stallhof war Johnnie an das große Rade eines Munitionswagens gefesselt. Bewußtlos hin er an blutigen Stricken. Aus seinem zerfetzten nackten Rücken quoll Blut und tropfte in den Schnee. Manche Peitschenhiebe hatten das Fleisch bis zum Knochen aufgerissen. In einem unnatürlichen Winkel lag sein Kopf auf dem linken Arm.
»Um dir eine angenehme Nachtruhe zu gönnen, hat er nicht geschrien«, erklärte ihr Vater in beiläufigem Ton. Mitleidlos betrachtete er ihr leichenblasses Gesicht, und seine Worte drangen wie Messerstiche in ihr Herz. »Laß dir jetzt in den Wagen helfen.«
Ihr Magen drehte sich um, in ihren Ohren vibrierte ein seltsames Rauschen, weiße Punkte explodierten vor ihren Augen. Als ihre Beine nachgaben, sank sie langsam zu Boden.
Lässig schnippte Harold Godfrey mit den Fingern, und zwei Soldaten kamen angelaufen. »Hebt sie in die Kutsche. Wir fahren nach Edinburgh. Bindet den Gefangenen los und schafft ihn da hinten in den offenen Karren.«
23
Als Elizabeth zu sich kam, lag sie auf dem Boden der Kutsche. Eine Zeitlang rührte sie sich nicht, gepeinigt von Schuldgefühlen, von dem gräßlichen Bild, das vor ihrem geistigen Auge erschien.
Nur um seine Frau und das Baby zu schonen, hatte Johnnie die grausame Folter klaglos ertragen. Während der Wagen über festgefrorene Furchen polterte, schwankte sie hin und her, und es dauerte eine ganze Weile, bis sich ihr Lebenswille regte, bis sie neuen Mut faßte. Wenn sie Johnnie retten und Rache an ihrem niederträchtigen Vater üben wollte, mußte sie sich
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