Fleisch ist mein Gemüse
schließlich auch irgendwann mal aus Eiern entstanden. Vor vielen tausend Jahren. Eine Eiergeburt. Bloß dass das heute keiner mehr weiß. Jens schaffte bis zu acht Spiegeleier und dazu das gute Landbrot. Torsten und Norbert sechs und selbst der zwergwüchsige Gurki vier bis fünf. Das Eigelb verklebte die Zähne und tropfte im Eifer des Gefechts auf Finger oder Kleidung. Eihunger! Eihunger ist, wenn jede Pore des Körpers nach Eiern schreit. Ein Hunger, wie ihn nur Ei stillen kann. So wie auch Bierdurst nur durch Bier zu löschen ist. Satt und zufrieden ließ ich mich von Norbert nach Hause bringen.
Ich muckte nun fast jedes Wochenende mit
Tiffanys
und hatte bereits nach kurzer Zeit das Gefühl, als würde ich den Job schon Jahre machen. Man konnte sich darauf verlassen, dass nie etwas Unvorhergesehenes passierte: einladen, ausladen, aufbauen, Soundcheck, Essen, umziehen, sieben Stundenspielen, wieder umziehen, und nach dem nächtlichen Abbauen freute ich mich immer schon darauf, meine vom unappetitlichen Kabelrollen pechschwarzen Hände waschen zu können. Rückfahrt, Hänger ausladen und nach der Gagenauszahlung Spiegeleier satt!
Weiber waren leider totale Fehlanzeige, denn Tanzmucker bewegten sich mit ihrem Sozialprestige ungefähr auf dem Niveau von Aushilfskellnern. Und dass
Tiffanys
keine Profiband war, hörte ein Blinder mit Krückstock. Man wurde nicht als Musiker wahrgenommen, sondern als ganz armes Würstchen, das auf der Bühne herumhampeln muss, damit es finanziell irgendwie reicht. Hinzu kam, dass keiner von uns auch nur im Entferntesten attraktiv war. Linkische Käuze, die aus groben Gesichtern ins Unendliche starrten, picklige Harlekine im Clownsgewand, uncool und ohne einen Hauch von Charme. Zum Selbstschutz redete ich mir manchmal ein, dass selbst Patrick Swayze, der damals mutmaßlich schönste Mann der Welt, als Musiker bei
Tiffanys
keine Bräute abgeschleppt hätte. Aber ich ahnte, dass das so natürlich nicht stimmte. Na ja, egal. Ich war froh, dass überhaupt wieder etwas Zug in mein Leben kam.
Meine Tage verliefen immer gleich. Ich stand meist gegen drei Uhr nachmittags auf, kaufte die Alkoholvorräte für den Abend ein und fing gegen sechs Uhr an mit der Frickelei am Synthesizer und Vierspurgerät. So etwa zwei Stunden später machte ich das erste Bier auf, und dann ging’s weiter bis drei, vier Uhr morgens. Eigentlich war ich ganz gern alleine. Es handelte sich meiner Meinung nach auch nur um eine Übergangszeit, denn mein Durchbruch als Hitproduzent stand ja unmittelbar bevor. Ich bastelte an meinen Songs immer ewig lange rum. Je länger ich bastelte, desto weniger wusste ich, ob sie überhaupt etwas taugten, und ich verlor mich stattdessen in den Untiefen vonHihat-Programming und Keyboard-Voicings. Eigentlich waren die Hits ja auch nur halb fertig, gesungen werden mussten sie irgendwann auch noch und dann sicher nicht von mir (Akne und diverse andere Hinderungsgründe). All das wollte von langer Hand vorbereitet sein. Wenn die Musik stand, kam der Text an die Reihe. Ätzend, Texten war scheiße, und dann noch auf Englisch, denn Deutsch war nach dem Ende der Neuen Deutschen Welle für viele Jahre total out.
Sozialamt Hamburg-Harburg
«Wann kriegst du eigentlich deinen Lappen wieder?»
«Auf den Tag genau weiß ich das jetzt auch nicht, aber so ungefähr in vier Monaten.»
«Also Anfang nächsten Jahres?» Jens ließ nicht locker.
«Ja, so ungefähr.» Ich war in der Lügenfalle gefangen und nahm mir vor, jetzt endlich mit den Fahrstunden zu beginnen. Gurki hatte mir die Termine bis zum Jahresende durchgegeben: Sage und schreibe achtzehn Jobs! Meine Güte, so viel. Ich würde das Geld
säckeweise
nach Hause tragen! Ich beschloss, mich beim Sozialamt abzumelden, und fuhr ein letztes Mal zu meinem Herrn Sommer. Der würde Augen machen! Auf den Fluren hockte die übliche Mischung aus Pennern, Rentnern, allein erziehenden Müttern, Ausländern und Arbeitslosen, die stumm und apathisch auf den harten Bänken warteten. Ab und an rastete in den Sprechzimmern jemand aus.
«Natürlich brauch ich neue Schuhe! Dir ham sie wohl ins Gehirn geschissen! Ich kenn meine Rechte. Und ich kenn auch meine Linke!»
Die Sachbearbeiter mussten hart im Nehmen sein. Ich hatte mich natürlich im Griff! Von mir hatte mein Herr Sommer keine unschönen Szenen zu erwarten.
«Wie sieht’s denn aus, was hat sich in der Zwischenzeit getan? Warten Sie mal!» Er schaute in seinen Unterlagen nach.
«Das letzte
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