Fleisch ist mein Gemüse
Mal haben Sie gesagt, dass Sie im Wintersemester zu studieren anfangen wollten.»
«Tja, steht noch nicht ganz fest, aber ich möchte die Sozialhilfe trotzdem abmelden. Ich hab da nämlich einen Job in Aussicht.» Er schaute mich interessiert an.
«Da bin ich aber gespannt.»
«Kennen Sie zufälligerweise
Tiffanys
?»
«Wie,
Tiffanys
? Was soll das denn sein?» Meine Frage war offenbar etwas unglücklich formuliert.
«Es gibt da eine sehr gute Galaband, die so heißt, und die wollen mich engagieren.»
«Soso.»
«Die sind sehr gut im Geschäft.»
«Aha.»
Herr Sommer schien mir nicht recht zu glauben.
«Die haben letztes Jahr über fünfzig Jobs gehabt, mit allem Drum und Dran; eigene Lichtanlage, Schlagzeug, Marschwalzer, das ganze Programm.»
Was redete ich da eigentlich. Herr Sommer guckte mich an, als ob ich bekloppt wäre.
«Also, ich kann Sie hier ab nächsten Monat streichen? Dann beziehen Sie von uns keine Leistungen mehr.»
«Ja, genau, nächsten Monat ist gut.»
«Dann hoffe ich, dass wir uns hier nicht schon in einem halben Jahr wieder sehen. Ich wünsche Ihnen erst mal alles Gute.» Zum Abschied gab er mir noch nicht einmal die Hand.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Mutter lag immer noch von oben bis unten eingegipst im Krankenhaus. Sie hatte bei ihrem Sprung ungefähr zwanzig Brüche erlitten, die einfach nicht heilen wollten. Einmal in der Woche besuchte ich sie. Ich war eigentlich ganz froh darüber, dass ichmich zumindest eine Zeit lang nicht um sie kümmern musste und mehr Zeit für meine Musik hatte. Dabei kam meine musische Ader doch von ihr. Als Musiklehrerin für Klavier, Blockflöte und musikalische Früherziehung hatte Mutter mich schon sehr früh im Flötenspiel unterrichtet. Mit zehn Jahren wurde es langsam Zeit, sich für ein Erwachseneninstrument zu entscheiden.
«So, Heinz, du bist jetzt alt genug, was würdest du gerne lernen?»
«Schlagzeug.»
Alle Jungen wollen Schlagzeug oder E-Gitarre spielen. Mutter blickte mich entgeistert an.
«Das geht hier aber doch nicht, im Reihenhaus. Der Lärm!»
«Dann eben E-Gitarre .»
«Das ist doch dasselbe.»
Meiner Mutter war nicht begreiflich zu machen, dass man einen Verstärker auch leise drehen kann.
«Gibt es denn kein
normales
Instrument?»
Normal, normal! Mir fiel keins ein.
«Wir haben doch noch meine alte Geige. Die klingt sehr gut. Und Unterricht könntest du bei Frau Fischer nehmen.»
«Ach, Geige, ich weiß nicht.»
«Frau Fischer kennst du doch. Die findest du doch auch nett.»
Frau Fischer war wie meine Mutter ein unverheiratetes Bildungsbürgermuttchen um die fünfzig. Manchmal trafen sich die beiden bei uns zu Hause zum gemeinsamen Musizieren. Frau Fischer schrammelte auf ihrer Violine, und Mutter begleitete sie dazu mit spitzen Fingern auf dem Klavier. Ich fand das immer irgendwie traurig. Es klang wie ein vertrockneter Balzgesang, der Männer anlocken sollte. Frau Fischer sah aus wie eine große, langsame Heuschrecke.
Mutter war ganz begeistert von ihrer Idee.
«Also, ich schlag jetzt mal was vor: Ich lass die Geige aufarbeiten, und du probierst das mal aus. Und wenn du keine Lust mehr hast, hörst du einfach wieder auf.»
So einfach würde das sicher nicht werden, aber ich war zu schwach, um Widerstand zu leisten.
«Ja, von mir aus. Aber erst nach den Sommerferien!»
«Aber du weißt, dass du dann auch üben musst, sonst bringt das nichts. Ich kenn dich doch!» Quatsch, nichts kennst du, gar nichts!
Es folgten verlorene Jahre lustlosen Gefiedels. Die Geige mochte mich nicht, und ich mochte die Geige nicht. Der Vietnamkrieg ging zu Ende, die Volljährigkeit wurde von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt, Helmut Schmidt als neuer Bundeskanzler vereidigt. Und ich begab mich jeden Dienstag um 16 Uhr in Frau Fischers Tretmühle. Außerdem musste ich täglich unter Beobachtung meiner Großmutter zwanzig Minuten üben. Meine arme Oma! Nach vier Jahren war ich immer noch nicht in der dritten Lage und konnte gerade mal den
Entertainer
spielen, eine erbärmliche Leistung. Irgendwann sah auch Mutter ein, dass es keinen Zweck hatte.
«Wenn du partout keine Lust zur Geige hast, dann musst du auch nicht.»
Ich war froh und gleichzeitig beleidigt.
«Dann spiel ich jetzt erst mal gar nichts mehr.»
«Hast du nicht vielleicht auf etwas anderes Lust? Klavier zum Beispiel?»
«Ja, mal sehen, aber erst mal nicht.»
Ah, herrlich, endlich der Fron der Fischerschen Geigenexerzitien entronnen, jetzt konnte gelebt
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